25 Jahre

Gemeinsam für die Grafschaft

Lückenschluss A 31

2004 wurde der Lückenschluss der A 31 mit einem Festakt gefeiert (Foto: Wirtschaft aktuell)

Der Lückenschluss als Wirtschaftsmotor

Maßgeblich an der Organisation des Mammutprojekts beteiligt war der ehemalige Oberkreisdirektor Josef Brüggemann. Gemeinsam mit Hermann Bröring, seinem Amtskollegen aus dem Emsland, hat er sich für die Umsetzung des außergewöhnlichen Projekts eingesetzt und trotz vieler Widrigkeiten nicht aufgegeben. Er erinnert sich: „Selbstverständlich haben wir den Lückenschluss nicht ohne Grund vorangetrieben. Aus unserer Sicht war die Fertigstellung der A 31 für die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Region von Ostfriesland bis Nordrhein-Westfalen enorm wichtig. Für die Grafschaft insbesondere, weil das Autobahnkreuz A 30/31 in der Grafschaft liegt. Dadurch konnte sich natürlich die Wirtschaft positiv entwickeln. Ich habe damals gesagt, dass schon die Aussicht und dann natürlich der Lückenschluss selbst eine Sonderkonjunktur A 31 für die Grafschaft Bentheim auslöst. Dass sich die positive wirtschaftliche Entwicklung durch den Lückenschluss fortsetzt und beschleunigt, hat sich in den Folgejahren dann auch tatsächlich herausgestellt. Schaut man sich die Entwicklung der Gewerbegebiete, die Arbeitslosenzahlen und die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an, wird deutlich: Das ist eine wahnsinnige Entwicklung, die nicht nur die Grafschaft, sondern auch die Region insgesamt genommen hat. Außerdem hat die Region durch den Lückenschluss auch den Anschluss an die überregionalen Verkehrswege weiter vorangetrieben.“

Wietmarschen: Boomtown dank Lückenschluss

Dass die A 31 ein Wirtschaftsmotor für die Region ist, zeigt die Entwicklung der Kommunen direkt an der Autobahn. Dazu gehört zum Beispiel Wietmarschen. Bürgermeister Manfred Wellen betont: „Unsere sehr zentrale Lage im Dreieck zwischen Nordhorn, Lingen und Meppen sowie am Knotenpunkt A 31/B 213 ist die Basis für unsere positive Gewerbeentwicklung.“ Schon zu Beginn der 1990er Jahre erkannte Alfons Eling, Wellens Vorgänger, die Bedeutung des Lückenschlusses. „Mit viel Geduld, Beharrlichkeit und Überzeugungskraft hat er den Grundstein für eine erfolgreiche Gewerbeentwicklung am Knotenpunkt A 31/B 213 gelegt. Denn er hatte schon lange vor dem Lückenschluss darauf hingewirkt, dass seine Gemeinde eine 100 Hektar große Fläche am heutigen Knotenpunkt erwarb“, blickt Wellen zurück. Schon drei Jahre vor der Fertigstellung der Autobahn verzeichnete Wietmarschen über 38 Betriebsansiedlungen mit rund 200 Arbeitsplätzen. „Seit dem Lückenschluss geht es mit dieser Entwicklung stetig bergauf – unser ehemaliger Landrat Friedrich Kethorn prägte dafür den Begriff ‚Boomtown‘,“ erläutert Wellen. Aktuell sind rund 100 Unternehmen mit etwa 2.200 Arbeitsplätzen im Gewerbegebiet an der Autobahn ansässig – Tendenz steigend, denn 300 Hektar stehen noch zur Verfügung. Der Bürgermeister betont: „Wir sind sehr froh, dass sich Unternehmen aus nahezu allen Branchen in unserem Gewerbegebiet angesiedelt haben.“ Das produzierende Gewerbe beschäftigt aktuell 45 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, der Dienstleistungssektor 30 Prozent.

A 31 sorgt für Aufschwung in Schüttorf

Auch in Schüttorf hat der Lückenschluss für Aufschwung gesorgt. Samtgemeindebürgermeister Manfred Windhaus freut sich: „Seit dem Lückenschluss zeigt die Entwicklungskurve des Industriegebiets ‚Schüttorfer Kreuz‘ nach oben.“ Das liegt insbesondere daran, dass mit der Eröffnung der Bundesautobahn 31 das Schüttorfer Kreuz entstanden ist. „Dadurch ist Schüttorf auch für überregi­onal agierende Unternehmen interessant geworden“, betont Windhaus. „Das direkt am Kreuz liegende Industriegebiet ist durch die hervorragende Lage ein gefragter Ansiedlungsstandort.“ Zurzeit sind im Industriegebiet Schüttorfer Kreuz etwa 100 Unternehmen ansässig. Der 13. und 14. Bauabschnitt des Gebiets wurden nach dem Lückenschluss erschlossen. Auch die Grundstücke in diesen Bereichen sind bereits weitgehend vergeben. War die Stadt Schüttorf früher von der monostrukturellen Textilwirtschaft geprägt, sind heute viele verschiedene Unternehmen und Branchen in Schüttorf vertreten. Windhaus erläutert: „Das produzierende Gewerbe bildet einen Schwerpunkt, dazu kommen Handel, Handwerk, Verkehr- und Lagerwirtschaft sowie Gastgewerbe und weitere Dienstleistungsbetriebe.“ Auch das Industriegebiet zeichnet sich durch einen Branchenmix aus: Dort ansässig sind zum Beispiel mehrere kunststoffverarbeitende Betriebe, ein Sanitärgroßhandel, ein Unternehmen im Bereich Heizungs-, Klima und Lüftungstechnik, ein Hersteller von Feinmessgeräten, Mineralölhandel, metallverarbeitende Unternehmen, Speditionen, Fahrzeughändler, ein medizinisches Analyse- und Diagnostikzentrum, ein Wellpappen-Formatwerk, ein Möbel-Service-Center, Unternehmen aus der Lebensmittelbranche, ein System- und Modulbauer sowie weitere Unternehmen. Außerdem ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seit dem Lückenschluss gestiegen: 2005 waren es rund 3.500, aktuell sind es etwa 5.840. „Insgesamt sehen wir uns als Gewinner des Lückenschlusses“, verdeutlicht Windhaus. „Die zentrale Lage Schüttorfs hat zu einer dynamischen Entwicklung des Industriegebiets Schüttorfer Kreuz geführt. Durch die verkehrsgünstige Lage sind die Industriegrundstücke für einheimische und auswärtige Betriebe von großer Bedeutung. Das Potenzial an Betriebsgrundstücken ist momentan so gut wie erschöpft.“

Finanzierung selbst in die Hand genommen

Die Fertigstellung der A 31 hat also die Wirtschaft in der Region enorm angekurbelt. Bis die Bundesautobahn allerdings eröffnet wurde, hat es mehr als 30 Jahre gedauert. Nicht zuletzt die deutsche Wiedervereinigung sorgte für einen Stopp des Autobahnausbaus: Ursprünglich eingeplante Bundesmittel flossen zunächst in den Aufbau der neuen Bundesländer. Deshalb klaffte eine Lücke zwischen Geeste im Norden und Ochtrup im Süden. Diese Lücke von 41,9 Kilometern sollte nicht vor 2013 geschlossen werden – ein Zeithorizont, der für die Bevölkerung der deutsch-niederländischen Region nicht tragbar war. Der ehemalige Oberkreisdirektor Brüggemann erinnert sich: „Die Nachrichten, die wir von der Bundesregierung erhielten, waren negativ. Es war die Rede davon, dass sich der Lückenschluss um zehn Jahre verzögert. Insbesondere Hermann Bröring und ich hatten aber die Sorge, dass sich das Ganze auf den Sankt-Nimmerleinstag verschiebt. Denn die Mittel für Verkehrswege waren in erheblichem Umfang eingekürzt worden. Deshalb haben wir versucht, über alle möglichen Wege das Projekt zu forcieren.“

Mit der Erkenntnis, dass von der Bundesregierung vorerst keine Mittel zu erwarten waren, wuchs eine Idee: Was, wenn man den Bau der Autobahn einfach selbst in die Hand nimmt? Aus dieser Vision, die Hermann Bröring zuerst formuliert hatte, entstand die Interessengemeinschaft Emsland-Autobahn. 1999 gaben die IHK der Region eine Kosten-Nutzen-Analyse bei der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster in Auftrag. Das Ergebnis war eindeutig: Der Nutzen der Autobahn würde die Kosten ihrer Fertigstellung um ein Vielfaches übersteigen. Auf Grundlage der Analyse entstand der Plan, den Bund durch eine finanzielle Beteiligung der Region und des Landes Niedersachsen zu entlasten und die Fertigstellung der A 31 voranzutreiben. „Die Landkreise, insbesondere das Emsland und die Grafschaft, haben sich dazu bereit erklärt, einen erheblichen Finanzbeitrag zu leisten. Das sprang dann auch auf die Wirtschaft über, die ebenfalls mit erheblichen Mitteln dazu beigetragen hat, den Druck auf den Bund und das Land zu erhöhen“, erklärt Brüggemann in der Rückschau. Daraufhin habe sich auch der damalige niedersächsische Finanzminister Peter Fischer das Vorhaben zu eigen gemacht. „So hatten wir einige gute Kombattanten, die mit uns für das Projekt gekämpft hatten. Schließlich hat auch der damalige niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel gesagt: Wir gehen jetzt nach Berlin. Wir wollen das Projekt durchsetzen. Und dann haben wir es gemeinsam tatsächlich geschafft: Der ehemalige Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt hat bei einer gemeinsamen Veranstaltung verkündet, dass der Lückenschluss vorgezogen wird.“ Der ehemalige Oberkreisdirektor hat jedoch noch gut in Erinnerung, was es für ein Kraftakt war, die zuständigen Behörden von dem Modellprojekt zu überzeugen und zum Handeln zu bewegen: „Insbesondere Hermann Bröring und ich haben wahnsinnig viele Gespräche in den Ministerien geführt. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie schwierig es ist, die Prioritäten des Bundesverkehrswegeplans zu verschieben und ein anderes Vorhaben nach vorne zu holen. Dass es letztendlich doch geklappt hat, liegt nur daran, dass wir signalisiert haben: ,Wir als Region finanzieren den Lückenschluss mit.‘“

53,7 Millionen Euro Eigenanteil

Insgesamt 53,7 Millionen Euro steuerte die Region selbst zum Autobahnausbau bei. Mitgliedsunternehmen der IHK konnten über Sponsoring fiktive Anteile an der Autobahn erwerben und den Beitrag als Betriebsausgabe absetzen. Insgesamt 1.600 Unternehmen unterstützten die Fertigstellung der A 31 auf diesem Weg mit etwa 8,3 Millionen Euro. Auch Partner aus den Niederlanden beteiligten sich an dem Projekt mit rund 11,9 Millionen Euro. Mehrere tausend Bürger kauften außerdem eine Vignette und trugen damit zur Finanzierung des Lückenschlusses bei. Nach diesem Schulterschluss von Unternehmen und Bürgern aus dem In- und Ausland waren das Land Niedersachsen und die Bundesregierung bereit, die restlichen Mittel von 61,4 und 135 Millionen Euro inklusive EU-Mitteln zu finanzieren.

Freigabe fast zehn Jahre eher als geplant

Am 19. März 2001 war es dann soweit: Sigmar Gabriel, damals Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, unterschrieb den Vertrag zur Fertigstellung der Emslandautobahn und besiegelte damit die private Mitfinanzierung. Wirtschaft aktuell schrieb damals: „Bei Schnee, Eis und Orkanböen trafen sich am 19. März Akteure aus Wirtschaft und Politik im emsländischen Geeste, um den Lückenschluss der A 31 zu besiegeln. Für den Augenblick noch ganz still standen – direkt neben dem Festzelt an der Autobahnlücke – schon die ersten Bagger und Planierraupen, die darauf zu warten schienen, endlich mit den Arbeiten an dem rund 42 Kilometer langen Autobahnstück beginnen zu können.“

Vollständig freigegeben wurde die A 31 schließlich fast vier Jahre später, im Dezember 2004. In der Wirtschaft aktuell-Ausgabe hieß es damals: „Freie Fahrt auf der A 31: Seit dem 19. Dezember rollt der Verkehr ungehindert auf der Emslandautobahn von Bottrop bis zur Nordsee. Mit viel Prominenz aus Politik und Wirtschaft gab der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff kurz vor Weihnachten das letzte noch fehlende Teilstück am Schüttorfer Kreuz frei.“ Die Fahrzeit zwischen Ruhrgebiet und Ostfriesland verringerte sich mit dem Lückenschluss um ganze 40 Minuten. Wulff zeigte sich bei der Freigabe der Autobahn beeindruckt: „Ich bin sicher, vieles in Deutschland würde besser laufen, wenn mehr Grafschafter und Emsländer daran beteiligt wären.“

Josef Brüggemann verdeutlicht im Rückblick auf die erfolgreiche Umsetzung des Mammutprojekts: „Die Region Emsland-Grafschaft Bentheim ist traditionell eher eine Region, die von den Wirtschaftsströmen abgeschnitten war und über den Emslandplan erst in den 1950er und 1960er Jahren entwickelt wurde. Das Projekt Lückenschluss macht deutlich, dass gerade diese Region offenkundig so viel Kraft hat und in der Lage ist, erstmals über eine Privat Public Partnership-Finanzierung ein Stück Autobahn zu realisieren. Das ist eine sehr respektable Leistung. Dass alle – wirklich alle, Wirtschaft, öffentliche Verwaltung, Politik, Handwerk, Gewerkschaften – an einem Strang gezogen haben, ist bemerkenswert. Wenn das nicht unisono geschehen wäre, hätte man das Ganze nicht realisieren können. Die Fertigstellung der A­ 31 finde ich ein sehr gelungenes Werk und die Region kann stolz darauf sein.“

Mit einem bundesweit einzigartigen Finanzierungsmodell und einem beispiellosen Schulterschluss von Wirtschaft, Politik, Privatpersonen sowie Unterstützern aus den Niederlanden hat es die Region Emsland-Grafschaft Bentheim geschafft, den Lückenschluss der A 31 voranzutreiben und dafür zu sorgen, dass die Bundesautobahn ganze neun Jahre früher fertiggestellt wurde als geplant. Für die Region war der Lückenschluss ein echter Kraftakt – doch das Engagement aller Beteiligten hat sich gelohnt. Die A 31 wurde zum wichtigen Wirtschaftsmotor und sorgte für neuen Aufschwung.

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