Münster

Agravis und BASF bauen „Kompetenzzentrum Biodiversität“ auf

Münster – Das Agravis-Versuchsgut St. Mauritz in Münster, auf dem Anbaustrategien für den Ackerbau entwickelt werden, wird zum „Kompetenzzentrum Biodiversität“.

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Dort sollen künftig Projekte für die Landwirtschaft entwickelt werden, die sowohl ökologisch als auch praxisnah sind.

Dafür kooperiert die Agravis Raiffeisen AG mit dem Chemiekonzern BASF aus Ludwigshafen. Auch der benachbarte Betrieb Schulze Bockeloh ist in das Projekt integriert. Damit werden das Versuchsgut und der Hof Teil des BASF-Farmnetzwerks Nachhaltigkeit, zu dem bundesweit 55 Betriebe gehören. Vertreter der beiden Unternehmen, Landwirtin Susanne Schulze Bockeloh, der tierökologische Gutachter Dr. Christian Schmid-Egger sowie Albert Stegemann als agrarpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion stellten die Kooperation in einer virtuellen Presseveranstaltung vor.  

Zusammenarbeit „beispielhaft“

BASF und Agravis investieren etwa 80.000 Euro in das Projekt, das auf zehn Jahre angelegt ist. „Ich halte es für sehr beispielhaft, dass sich mit BASF und Agravis Industrie und Landwirte zusammenschließen. Das Thema Biodiversität wird sehr emotional diskutiert. Deshalb ist jeder Ansatz sehr gut“, betonte CDU-Politiker Stegemann. Dr. Dirk Köckler, Vorstandsvorsitzender von Agravis, erklärte: „Wir leben und wenden den Generationenvertrag an, denn wir sind im Eigentum von rund 80.000 Familien zwischen Polen und Holland. Als Agrarhandel sind wir gerne Teil der Lösung.“ Dass das Kompetenzzentrum mitten in Münster liege, sei ein wichtiges Signal: „Wir tragen das Thema in die Gesellschaft und schmoren nicht nur im eigenen Saft.“ Mit BASF als Partner komme man ins Handeln. Köckler appellierte außerdem an weitere Akteure in der Wertschöpfungskette, sich mit Biodiversität zu beschäftigen.

Balance zwischen Produktion und Umweltschutz finden

Michael Wagner, Vice President BASF Agricultural Solutions Europa Nord, betonte: „Die Nachhaltigkeit ist ein Schlüsselbereich bei BASF.“ So investiere der Konzern jeden Tag 2,1 Millionen Euro in die Forschung im Bereich Agrar. „Es ist wichtig, dass wir eine Balance finden zwischen begrenzten Ackerflächen und einer stetig wachsenden Bevölkerung. Es gibt noch viele Optimierungspotenziale zwischen Umwelt- und Naturschutz sowie der Produktion von Lebensmitteln“, machte Wagner klar. Bis 2030 wolle BASF den CO2-Ausstoß pro Tonne Ernteertrag um 30 Prozent reduzieren. Außerdem wolle der Konzern die vernetzte Biodiversitätsfläche um zehn Prozent ohne Verlust zum Ertrag steigern. Wagner sieht aktuell zwei Möglichkeiten, die Biodiversität in der Landwirtschaft zu finanzieren: Entweder über die Wertschöpfungskette, also zum Beispiel durch die Einbindung der Verbraucher. Oder durch das BASF-Kundenbindungsprogramm „FarmersClub“, das den Mitgliedern Biodiversitätsprojekte finanziert. Um solche Projekte zu finden, gebe es das Farmnetzwerk, in das auch das Kompetenzzentrum Biodiversität eingebunden wird. Es helfe bei der Suche nach ökologischen und gleichzeitig praxisnahen Ansätzen für die Landwirtschaft.

Agravis-Vorstandsvorsitzender Dr. Dirk Köckler und Michael Wagner, Vice President BASF Agricultural Solutions Europa Nord

Monitoring im gesamten Jahr

Das wesentliche Element im Kompetenzzentrum Biodiversität sind mehrjährige Blühstreifen, die als Nahrungsquelle für Insekten dienen sollen. Aktuell gibt es rund ein Viertel bis einen halben Hektar Blühstreifen auf dem Gelände. Das Versuchsgut selbst misst rund 20 Hektar, der angrenzende Hof Schulze Bockeloh 100 Hektar. Neben den Blühstreifen wurden eine Brache sowie eine Böschung angelegt, in der Tiere nisten können. Das Kompetenzzentrum Biodiversität wird von einem Forschungsteam um den tierökologischen Gutachter Dr. Christian Schmid-Egger begleitet und bewertet. „In diesem Jahr werden wir zunächst den Status quo erheben. Wir werden ganzjährig mit Monitorings die Population von Wildbienen, Vögeln, Käfern und Spinnen untersuchen“, erklärte Schmid-Egger.

Erste Ergebnisse werde es zum Ende des Jahres geben. Ziel sei es, zum Beispiel die Population der Wildbienen in dem untersuchten Areal zu erhöhen. „Unserer Erfahrung nach dauert es rund vier bis fünf Jahre, bis wir den Höchstpunkt erreichen“, erläutert der tierökologische Gutachter. „Mit den Blühstreifen erreichen wir sehr schnell große Erfolge.“ Fakt sei aber auch: Das Münsterland sei dichter besiedelt und intensiver durch die Landwirtschaft genutzt als die bisherigen Versuchsregionen in Deutschland. „Wir brauchen also noch mehr Flächen, um überhaupt Erfolge zu sehen“, betonte Schmid-Egger. Er fordert ein entschlosseneres Handeln seitens der Politik und der Verwaltung. „Viele Landwirte sind willig und wollen sich engagieren, doch die Impulse aus der Politik sind zu gering“, verdeutlichte er.

„Es muss auch zwischen den Fingern Spaß machen“

CDU-Politiker Stegemann widersprach den Einwänden von Schmid-Egger und nannte unter anderem die Borchert-Kommission, die sich mit dem Umbau der Nutztierhaltung in Deutschlang beschäftigt, als Blaupause für Biodiversität. Außerdem würden zum Teil Versuche der Politik, neue Züchtungstechnologien wie die Gen-Schere Crispr/Cas9 zuzulassen, aus ökologischen Gründen gebremst. „Dabei könnte man mithilfe neuer Züchtungen zum Beispiel Pflanzenschutzmittel viel gezielter einsetzen“, erläuterte er. Auch Zulassungsverfahren für neue Pflanzenschutzmittel würden oft blockiert, und das eher aus ideologischen Gründen als vor einem wissenschaftlichen Hintergrund. Stegemann verdeutlichte außerdem: „Biodiversität kann nur funktionieren, wenn die Landwirte einen Anreiz haben. Es muss auch zwischen den Fingern Spaß machen.“ Deshalb sei es wichtig, dass Gelder nur bei den Landwirten ankommen, die entsprechende Auflagen erfüllen.

Biodiversität als Aufgabe für alle

Landwirtin und Projektteilnehmerin Schulze Bockeloh betonte ebenfalls die Bereitschaft vieler Bauern, sich für die Biodiversität zu engagieren. „Allerdings ist es schwierig, geeignete Projekte umzusetzen, wenn die Koordinierung fehlt“, räumte sie ein. „Umso mehr freuen wir uns, dass wir fachmännische Beratung und Begleitung erhalten und uns im Farmnetzwerk austauschen können.“ Die Landwirtin wies aber gleichzeitig darauf hin, dass Biodiversität ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag sei und nicht nur Aufgabe der Landwirtschaft. Der Rückgang von Insekten, Vögeln und Co. habe zahlreiche Ursachen und müsse deshalb auch an anderen Stellen bekämpft werden. „Jeder kann etwas tun“, betonte Schulze Bockeloh. „Wir sollten nicht darüber diskutieren, wer Schuld hat, sondern gemeinsam an Lösungen arbeiten. Biodiversität ist eine Aufgabe für alle.“

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