Preisverhandlungen | „Gutes Verhandeln ist trainierbar“

Sie gehören zum unternehmerischen Alltag dazu und spielen vor allem dann eine Rolle, wenn es darum geht, Kosten zu optimieren: Verhandlungsgespräche. Im Ringen um den besten Preis, das optimale Material oder den langfristigen Liefervertrag gilt es, den richtigen Weg zu finden, mit dem am Ende beide Parteien ins Geschäft kommen. Welche Verhandlungsstrategien dafür nötig sind und wie man reagiert, wenn es in einer Verhandlung mal nicht gut läuft, erklärt Dr. Christoph Nohe vom Fachbereich Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Münster im Interview.

Dr. Christoph Nohe, Universität Münster | Quelle: OWMs

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Herr Dr. Nohe, wann haben Sie zuletzt über etwas verhandelt?
Gestern mit meinen beiden Kindern (lacht). Ich wollte, dass sie den Fernseher ausschalten und aufhören, auf dem Tablet zu spielen. Die beiden wollten aber lieber weitermachen. 

Und, wie ist die Verhandlung ausgegangen?
Die angefangene Folge haben sie noch zu Ende geschaut und dann mit Freunden gespielt. Damit waren meine Kinder und ich zufrieden.

Das Verhandeln-Lernen fängt also schon früh an! Was sollte ein guter Verhandler mitbringen?
Verhandeln ist nichts anderes als Kommunizieren. Um ein guter Verhandler zu sein, sollte man also über eine gewisse Ausdrucksfähigkeit verfügen. Aber auch die Selbstreflexion des eigenen Auftritts ist wichtig, um sich stets klarzumachen, wo man in der Verhandlung steht. Genauso wie Offenheit für Feedback von außen, um sich kontinuierlich zu verbessern. Denn letztendlich ist gutes Verhandeln trainierbar – das zeigen wissenschaftliche Studien immer wieder – und daher relativ unabhängig von den Eigenschaften, die ein Mensch mitbringt. Viel entscheidender ist, dass man die wichtigsten Verhandlungsstrategien kennt und anwenden kann. 

Welche Verhandlungsstrategien sollte man besser kennen?
Die beiden grundlegenden Strategien sind distributives Verhandeln und integratives Verhandeln. Ich mache das mal an einem einfachen Beispiel deutlich: Zwei Schwestern streiten sich um eine Orange. Bei der distributiven Verhandlungsstrategie sind beide daran interessiert, ein möglichst großes Stück der Orange zu bekommen. Sie gehen also mit hohen Forderungen in die Verhandlungen und möchten wenig Zugeständnisse machen. Im Idealfall würde diese Verhandlungsstrategie zu einem Kompromiss führen: Die Orange wird in zwei gleiche Hälften aufgeteilt. Ob das für beide Seiten die beste Lösung ist, ist allerdings fraglich. 

Und integratives Verhandeln?
Das könnte in diesem Fall eine gute Alternative sein. Beim integrativen Verhandeln geht es darum, nicht nur die eigenen Interessen zu vertreten, sondern sich auch in die Lage der Gegenpartei hineinzuversetzen. Empathie ist hier das Stichwort! Ziel ist es, eine Lösung zu finden, die die Interessen beider Seiten unter einen Hut bringt. Dafür müssen beide Parteien miteinander reden und klar kommunizieren, was sie überhaupt wollen. Für unser Beispiel heißt das: Die eine Schwester möchte einen Kuchen backen, die andere einen O-Saft trinken. Also bekommt die eine die Orangenschale zum Backen, die andere das gesamte Fruchtfleisch für die Saftpresse. Diese Lösung ist für beide viel besser, da jede das bekommt, was sie benötigt. 

Wie startet man am besten in ein Verhandlungsgespräch?
Ein guter Start ins Verhandlungsgespräch fängt schon weitaus früher an, nämlich bei der Vorbereitung des Termins. Man sollte sich vergegenwärtigen, was die Verhandlungsgegenstände sind. Also: Worum geht es in der Verhandlung? Ist mir nur der günstigste Preis wichtig, oder spielen noch andere Faktoren eine Rolle, wie etwa langfristige Geschäftsbeziehungen oder Verlässlichkeit? Im nächsten Schritt werden die Verhandlungsgegenstände in eine Rangfolge gebracht, also priorisiert. Und das gleiche macht man auch für die Gegenpartei. 

Ich denke also für meinen Gegenspieler mit?
Ja, genau. Sie überlegen sich, welche Ziele Ihr Verhandlungspartner haben könnte und was ihm besonders wichtig oder weniger wichtig sein könnte. So können Sie sich vorher genau zurechtlegen, bei welchen Punkten Sie Zugeständnisse machen können und wo Sie besonders viel fordern wollen, weil Ihnen das besonders wichtig ist und Ihrem Gegenüber vielleicht weniger. Fragen, die man sich stellen sollte, wären: Welchen Preis wünsche ich mir? Wo ist mein Limit, also der absolut letzte Preis, den ich zahlen würde? Dafür muss man sich vorher alle nötigen Informationen und Marktkenntnisse einholen, um den für sich angemessenen Preis herauszufinden. 

Wie sollte man reagieren, wenn man im Gespräch merkt, dass es trotzdem nicht so läuft wie geplant?
Auf jeden Fall sollte man nicht zu schnell nachgeben – auch wenn die Verhandlungen in der Situation nicht so vorangehen, wie erhofft. Es ist durchaus legitim, ein Gespräch für eine Pause zu unterbrechen oder sogar um ein paar Tage zu vertagen. Währenddessen können die Informationen, die das Gespräch bisher ergeben hat, sortiert werden. Auf dieser Basis lässt sich noch einmal neu bewerten, welche Punkte einem selbst und der Gegenpartei wichtig sind. Außerdem sollte man sich überlegen, welche Optionen es außerhalb der Verhandlung gibt. Also: Was passiert, wenn wir uns nicht einig werden? Man definiert das sogenannte Batna. 

Was ist Batna?
Batna steht für „best alternative to a negotiated agreement“, es ist also die bestmögliche Alternative zu einer Einigung. Das kann zum Beispiel ein anderer Zulieferer oder Händler sein, bei dem man die Ware zu einem guten Preis bekommt und der somit eine echte Alternative zum aktuellen Verhandlungspartner wäre. Diesen Punkt könnte man in die Verhandlung einbringen und schauen, ob und wie sich die Gegenseite bewegt. Über das Batna lässt sich also Druck ausüben. Wer eine gute Alternative hat, ist in der vorteilhaften Situation, neu verhandeln zu können. 

Okay, das Batna steht. Wie geht es dann weiter?
Wenn die Verhandlungen neu aufgenommen werden, gilt es, die eigenen Forderungen und auch das Batna noch einmal deutlich zu formulieren und gleichzeitig aufzuzeigen, welchen Benefit die Gegenseite hätte. Es ist also ein Wechselspiel aus Einfordern und Anbieten – so lange, bis man sich einigt. Wenn mein Batna besser ist als das realisierbare Verhandlungsergebnis, dann wird die Verhandlung eben ohne eine Lösung beendet. Es ist eine kognitive Verzerrung des Menschen, dass eine Verhandlung immer zu einem Abschluss führen muss – das muss sie aber nicht! Wenn mich das Verhandlungsergebnis schlechter stellt als vorher, dann sollte ich den Deal besser nicht eingehen.

Woran merkt man, dass man übervorteilt wird?
Wenn mir klar wird, dass die andere Partei zu gute Optionen außerhalb der Verhandlung hat, oder wenn die Lösung, auf die wir zusteuern, mich selbst schlechter stellt als vorher. Das sind klare Indikatoren dafür, dass mein Limit überschritten wird und die Verhandlung definitiv nicht zu meinem Vorteil läuft. Das sollte man dann auch so kommunizieren und das Gespräch gegebenenfalls beenden.

Aber man muss ja auch nicht immer die Wahrheit sagen …
… ja, Sie können natürlich auch bluffen (lacht). Allerdings ist die Strategie der Täuschung oder Lüge mit Vorsicht zu genießen! Das Verführerische ist, dass eine Täuschung kurzfristig sogar gut funktionieren kann. Wenn sie aber auffliegt, kann das schwerwiegende Konsequenzen für die soziale Position und die Geschäftsbeziehung haben. Es kann passieren, dass man bei Verhandlungen oder Auftragsvergaben künftig ausgeschlossen wird. Wenn sogar relevante Informationen vorenthalten wurden, kann der Bluff auch juristische Konsequenzen haben. Neben dem finanziellen Schaden kann sich eine solche Aktion auch negativ auf unser Gewissen auswirken. Der Mensch möchte ein positives Selbstbild von sich haben. Und nach den gängigen Moralvorstellungen unserer Gesellschaft soll der Mensch nicht lügen. Eine Täuschung wäre damit nicht vereinbar und kann negative Gefühle wie Schuld und Scharm in uns hervorrufen.

Wie viel kann man durch persönliches Verhandlungsgeschick wettmachen, auch wenn man selbst nicht in der besten Verhandlungsposition ist? 
Wer ein paar Strategien beherrscht, kann einiges wettmachen. Zum Beispiel, indem man sich einen hohen Anker setzt. Ich mache das mal an einem einfachen Beispiel deutlich: Auf dem Flohmarkt sehen Sie ein Fahrrad, das Sie gerne hätten und um dessen Preis Sie verhandeln wollen. Sie fragen nicht, was das kostet, sondern machen dem Verkäufer direkt ein Angebot. Sie nennen einen Preis, von dem Sie relativ sicher ausgehen, dass der Verkäufer nicht einwilligen wird. Sie setzen also einen extremen Anker. Zum Beispiel 50 Cent. Das ist frech, aber ein erster Aufschlag, um zu schauen, wie die Gegenseite reagiert. Die Welle der Entrüstung, die einem dann vermutlich entgegenschwappt, muss man aushalten. Denn durch den Spottpreis von 50 Cent vermitteln Sie dem Verkäufer, dass Sie in dem Fahrrad offenbar nur eine Rostlaube sehen, die Ihnen nicht mehr wert ist. Der Verkäufer fängt an zu Grübeln, ob er für das Rad tatsächlich so viel Geld nehmen kann, wie er dachte. Er wird Ihnen nun vermutlich ein Angebot machen, das schon mal etwas unter seiner eigentlichen Preisvorstellung liegt und Ihnen entgegenkommt. Und so nähert man sich Runde für Runde einem Preis oder Limit, mit dem beide leben können.

Was sind die größten Fehler, die man in Verhandlungsgesprächen unbedingt vermeiden sollte?
Neben der bereits angesprochenen Vorbereitung ist das vor allem der Irrglaube, man müsste dem Verhandlungspartner direkt mit Riesenschritten entgegenkommen. So verliert man ganz schnell das eigene Ziel aus den Augen. Wichtig ist, sich in kleinen Schritten heranzutasten – wie bei dem Fahrradbeispiel auf dem Flohmarkt –, Anker zu setzen und damit vor zu hohen Forderungen der Gegenpartei zu schützen. 

Woran erkennt man nach einer Verhandlung, dass es gut gelaufen ist?
Zum einen am ökonomischen Ergebnis. Stehe ich mit dem Verhandlungsergebnis besser da als mit meinem Batna, dann war es eine erfolgreiche Verhandlung. Nicht zu vergessen ist aber auch der psychologische Faktor: Bin ich fair behandelt worden? Es gibt mir ein gutes Gefühl, wenn sich der Verhandlungspartner mir gegenüber integer, ehrlich und wohlwollend verhalten hat.

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