Nachhaltigkeits-Reporting | Von der Pflicht zur Kür

Die neue EU-Richtlinie für die Nachhaltigkeits-Berichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) verpflichtet die 500 größten deutschen Unternehmen, über die eigene Corporate Social Responsibility zu berichten. Ab dem Berichtsjahr 2026 gilt das auch für börsennotierte kleinere und mittlere Unternehmen. Welche Chancen in der Nachhaltigkeitsberichterstattung für die Unternehmenskommunikation liegen, erklärt Professor Dr. Markus Kiefer, der Unternehmens- und Marketingkommunikation unter anderem an der FOM – Hochschule für Oekonomie und Management lehrt, für Wirtschaft aktuell.

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Es ist an dieser Stelle schon in der Vergangenheit auf den immer stärkeren Drang des Gesetzgebers hingewiesen worden, die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen stärker zu regulieren, sie verpflichtend zu machen und auf immer mehr Unternehmen auszuweiten. Inzwischen deckt die gründlich überarbeitete CSR-Richtline der Europäischen Union für Deutschland nicht nur die 500 größten Unternehmen ab. Angesichts der Klimaentwicklung und angesichts des öffentlichen Drucks der weltweiten Klimaschutzbewegungen lässt sich die Vorhersage wagen: Die EU wird nicht stehen bleiben, weitere Schritte gehen und immer mehr Unternehmen einbeziehen, wobei die Übergangsfristen deutlich kurz gehalten sein werden. Über die eigene Corporate Social Responsibility zu berichten, wird immer mehr zur Pflichtaufgabe.
Deswegen ist gerade die mittelständische Wirtschaft gut beraten, das Feld der Nachhaltigkeitsberichterstattung stärker für sich zu entdecken. Und dabei vielleicht gar nicht erst auf Vorgaben des Gesetzgebers zu warten, sondern proaktiv eigene Akzente zu setzen. Kurzum: Das Thema sollte nicht als lästige Pflicht verstanden werden, sondern als Herausforderung einer interessanten Kür. Aus vielen Gründen wäre das sinnvoll. Drei möchte ich Ihnen erläutern:

  • Erstens, die Gesellschaften – vor allem die der freien Wirtschaftssysteme – räumen dem Klima mittlerweile einen Top-Rang in der öffentlichen Agenda ein, und zwar dauerhaft.
  • In der Situation eines dauerhaften Fachkräftemangels müssen die Unternehmen zweitens wissen, dass viele potenzielle Arbeitnehmer sich bei der Arbeitsplatzsuche inzwischen auch danach entscheiden, wie „grün“ ihr künftiger Arbeitgeber wirtschaftet.
  • Und zum Dritten entscheiden sich immer mehr Verbraucher bei der Produktwahl für ein Produkt mit nachgewiesen grüner Öko-Bilanz im Vergleich zu nicht eindeutig nachhaltigen Konkurrenzprodukten. Für den Consumer-Bereich ist das inzwischen in weltweiten Studien eindeutig nachgewiesen. Und es ist nicht auszuschließen, dass die Tendenz auch auf die Buying Center im Business to Business überschwappt.

Daher entsteht zunehmend für solche mittelständischen Unternehmen, die (noch) nicht von der Pflicht zur jährlichen Nachhaltigkeitsberichterstattung betroffen sind, ein durchaus lohnendes Ziel ihrer Unternehmenskommunikation. Es ist eine Möglichkeit, sich ein interessantes Alleinstellungsmerkmal durch gute und einfallsreiche Kommunikation in diesem Feld zu schaffen. Gerade auf umkämpften Märkten mit starken Mitwettbewerbern.
Was lässt sich von denen, die bislang schon von der Pflicht zu berichten betroffen sind, lernen? Folgt man den jährlichen Analysen von Manfred Piwinger, dem Doyen des Kommunikationsmanagements in Deutschland, dann ist die bisherige Leistung der großen Unternehmen eher so etwas wie ein Einheitsbrei (meine Formulierung, nicht seine). Piwinger wertet seit vielen Jahren die Geschäftsberichte und seit einiger Zeit auch die Nachhaltigkeitsberichte der Dax 30- und Dax 40-Konzerne sowie anderer großer Unternehmen für die von ihm mit herausgegebene Loseblattsammlung „Kommunikationsmanagement“ systematisch aus.

Die Berichte der Unternehmen ähneln sich seiner Analyse nach in drei Punkten: Erstens, erfüllen alle ihre Pflichtaufgabe, zum Teil gehen sie weit darüber hinaus und legen über alle Maßen voluminöse Berichte vor. Zweitens, versuchen sich alle in einem Überbietungswettbewerb nach dem Motto: „Wir sind grüner als Ihr“. Und drittens, geht der Zusammenhang zum Zahlen-Teil der Geschäftsberichte oft völlig verloren. Dieser letzte Aspekt ist besonders interessant. Denn die EU hat ja in ihrer Richtlinie für die Nachhaltigkeitsberichterstattung lediglich den gleichen Stellenwert eingefordert wie für die Finanzberichterstattung.

Eine Entkoppelung war weder vorgesehen noch angedacht. Noch ist sie sinnvoll. Denn im Kern geht es noch immer um erfolgreiches Wirtschaften. Es geht ums Geschäft.

Erkenntnisse

Aus diesen Erkenntnissen lässt sich für die Berichterstattung des Mittelstands durchaus lernen. Es wäre meines Erachtens nämlich weitaus stringenter, auf den Zusammenhang von ökologischer Bilanz und wirtschaftlichem Erfolg hinzuargumentieren. Inwieweit tragen nachhaltige Aktivitäten zu zunehmendem Geschäftserfolg bei? Wo hat eine Transformation des Kerngeschäfts in dieser Richtung stattgefunden? Inwiefern hat das Unternehmen von vornherein neuartige Dienstleistungen und Produkte geschaffen, die an sich schon umweltverträglich sind? Mit welchen Absatzerfolgen? Haben neuartige Geschäftsmodelle mit umweltfreundlichen Produkten irgendeinen ökonomischen Ertrag generiert? Wo hat eine verbesserte Energieeffizienz die Gewinn- und Verlustrechnung entlastet? Wo ein reduzierter Ressourcenverbrauch die Einkaufskosten entlastet? Wo hat grünes Wirtschaften neue Investoren und Kreditgeber angezogen, bei denen Nachhaltigkeit oberste Priorität hat? Welche Folgen hatte dies für unsere Kapitalkosten? An diesen und ähnlichen Leitfragen ausgerichtet, entgeht man der Versuchung, einfach mit Nachhaltigkeitsberichten nur ein grünes Mäntelchen für irgendwelche Stakeholder aufzubauschen.  

Und zuletzt: Der Mittelstand sollte gar nicht erst versuchen, in den geschilderten „grünen“ Überbietungswettbewerb der Großen einzusteigen. Dafür weist die CSR-Richtline einen ausgewogenen Weg. Es geht ja nicht nur um Schadstoffbilanzen, nicht nur um Ressourcenverbrauch. So wichtig diese Blickwinkel sind, eine gute CSR-Berichterstattung geht darüber hinaus, schließt soziale und gesellschaftsbezogene Aspekte mit ein. Den Umgang mit und die Fürsorge für Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Entwicklung einer guten Unternehmenskultur, eine gute Governance mit klar geregelter Unternehmensführung und -kontrolle, professionellem Lobbying, ethisch einwandfreiem Verhalten der Führungskräfte und Mitarbeiter. Zahlreiche Felder, in denen die Inhalte der Kommunikation eigenständige, auffällige Akzente setzen könnte – womit die zuständigen Kommunikatoren wirkungsvoll zu einem eigenständigen und sympathischen Auftritt ihrer Unternehmen beitragen könnten.

Erstellt von Prof. Dr. Markus Kiefer, Unternehmens- und Marketingkommunikation FOM – Hochschule für Oekonomie und Management

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