Status quo | Mangelware Nachfolger

Eigentlich könnte es für Herbert* nicht besser laufen. Seit 30 Jahren leitet der Geschäftsführer den familieneigenen Metallverarbeitungsbetrieb erfolgreich in der dritten Generation. Die Auftragsbücher sind voll, seine 25 Mitarbeitenden leisten gute Arbeit. Doch Herbert hat ein Problem: Er wird dieses Jahr 67 Jahre alt – und er möchte loslassen. Von seinem Unternehmen, vom hektischen Geschäftsalltag. Reif für den Ruhestand und bereit, an die nächste Generation abzugeben. Doch keiner greift zu. Seine Kinder? Die haben andere Pläne. Eine externe Lösung? Darüber ist er immer mal wieder in Gesprächen, aber ein konkreter Nachfolger hat sich noch nicht finden lassen. Herberts Fall ist mittlerweile Alltag in Deutschlands Mittelstand – auch in unserer Region.

Foto: AdobeStock/wijayanto

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Dem aktuellen Report Unternehmensnachfolge 2025 der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zufolge wollten in Deutschland noch nie so viele Unternehmensinhaberinnen und -inhaber ihr Lebenswerk in andere Hände übergeben oder – falls das nicht gelingt – den Betrieb im Zweifel schließen. Das ist das Ergebnis aus mehr als 50.000 persönlichen Kontakten, Beratungs- und Informationsgesprächen der deutschen Industrie- und Handelskammern.  

250.000 Unternehmen auf der Kippe

Wie die DIHK feststellt, sind passende Nachfolgerinnen und Nachfolger insgesamt Mangelware: Seit dem Vorkrisenjahr 2019 habe sich die Lücke zwischen Altinhabern und potenziellen Nachfolgern fast verdoppelt. Zwei zur Übergabe stehenden Unternehmen steht demnach nur knapp ein Interessent gegenüber. Mehr als ein Viertel (27 Prozent) der betroffenen Unternehmerinnen und Unternehmer denkt bereits an eine komplette Schließung, wenn sich kein Nachfolger finden lässt.  

Hochgerechnet stehen deutschlandweit in den nächsten zehn Jahren bis zu 250.000 Betriebe auf der Kippe. Insbesondere im Gastgewerbe und Handel, aber auch bei Dienstleistern und in der IT-Branche sei die Lage in Sachen Nachfolgelösung laut DIHK besonders angespannt. 

Das spiegelt sich auch in unserer Region wider, die vor allem durch familiengeführte Unternehmen geprägt ist. Im Münsterland stehen nach Angaben der IHK Nord Westfalen auf Basis des Nachfolgereports NRW in den kommenden zehn Jahren 28.000 Familienbetriebe mit rund 161.000 Beschäftigten vor der Herausforderung, einen Nachfolger zu finden. 2019 waren es noch 23.000 Unternehmen.  

Schlechteste Wert seit über 15 Jahren

Ähnlich sieht es im südwestlichen Niedersachsen aus: Allein bis 2026 befinden sich nach Angaben der IHK Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim rund 900 Unternehmen mit Sitz im IHK-Bezirk vor dem Generationswechsel und bei vielen sei die Nachfolge noch nicht geregelt. Landesweit standen 2023 bei den niedersächsischen IHK rund 550 Beratungen von abgabebereiten Senior-Unternehmerinnen und -Unternehmern nur 150 Übernahmeinteressierte gegenüber. Die Quote von weit über 1:3 sei der schlechteste Wert seit über 15 Jahren und die Schere gehe immer weiter auseinander. „Es droht mittelfristig ein deutlicher Aderlass der wirtschaftlichen Substanz auch in unserer Region“, warnt Enno Kähler, Projektleiter Unternehmensgründung und -förderung bei der IHK Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim. 

Diese Entwicklung in der Region kommt für Michael Meese, Teamleiter Gründung und Unternehmensförderung bei der IHK Nord Westfalen, nicht völlig überraschend. „Schließlich geht die Babyboomer-Generation nun in den Ruhestand und es gibt rein rechnerisch weniger junge Menschen, die nachrücken.“ Für ihn ist der Mangel an Nachfolgern aber nicht nur eine Altersfrage, sondern auch gesellschaftlich bedingt. „Der Automatismus, dass sich innerhalb der Unternehmerfamilie ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin findet, greift heutzutage nicht mehr“, betont Meese. Die Gründe: Zum einen hätten Familien heute weniger Kinder, was die Zahl der potenziellen Kandidaten von Natur aus reduziere. Zum anderen entscheide sich die jüngere Generation häufig für einen eigenen, ganz anderen Weg. „Es geht nämlich auch ums Wollen. Wer nicht überzeugt ist, setzt sich nicht in den Chefsessel der Eltern“, macht Meese klar.  

In den Beratungsgesprächen der IHK Nord Westfalen hat der Experte außerdem festgestellt, dass die abgebende Generation gar nicht mehr unbedingt die Erwartungshaltung hat, dass die eigenen Kinder die Nachfolge antreten: „Zwar freuen sich die Eltern, wenn sich ein Nachfolger in der Familie findet und somit die Tradition fortgeführt wird. Aber sie möchten ihre Kinder nicht drängen.“ 

Verantwortung für das Lebenswerk der Familie

Ausschlaggebend für die Entscheidung, die Nachfolge anzutreten, ist für die junge Generation vor allem, wie die Zukunftsaussichten des Unternehmens und der Branche bewertet werden. „Das ist für sie heute angesichts zahlreicher Krisen und herausfordernder Zeiten ein wichtiger Punkt. Schließlich trägt man Verantwortung für das Lebenswerk der Familie und hält Anteile daran – das ist etwas anderes, als wenn man als externer Geschäftsführer in einen x-beliebigen Konzern einsteigt“, verdeutlicht Meese.  

Der Nachfolgeberater und sein Team spüren allerdings schon, dass sich viele Inhaber mittlerweile mehr und früher Gedanken um ihre Nachfolge machen als zuvor. „Unsere Beratungsangebote zu diesem Thema werden deutlich stärker nachgefragt. Über den eigenen Abschied aus dem Unternehmen nachzudenken, ist kein Tabuthema mehr. Und das darf es auch nicht, denn alleine lässt sich die Nachfolge nur selten gut regeln, weil viele rechtliche und betriebswirtschaftliche Dinge zu beachten sind. Eine professionelle Unterstützung ist unerlässlich“, rät Meese. 
*frei erfundene Person 

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