Aus der Region

„Wir brauchen die Gleichberechtigung von akademischer und handwerklicher Ausbildung“

Rheine - Wie geht es dem regionalen Handwerk? Wo drückt der Schuh und warum will der Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft (KH) Steinfurt Warendorf, Frank Tischner, nicht mehr über Fachkräftemangel sprechen? Antworten auf diese Fragen gab es beim jüngsten Jahrespressegespräch der KH in Rheine.

Der KH-Vorstand vor dem neuen Berufsbildungszentrum in Rheine (von links): Günter Schrade, Frank Tischner und Reinhard Kipp. Foto: Terhörst

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„Im vergangenen Jahr mussten wir – ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine – erleben, dass selbst unser ansonsten so krisensicheres Handwerk eine Achillesferse hat: Die Kombination aus steigenden Energiepreisen und höheren Beschaffungskosten geht auch an unseren Betrieben nicht spurlos vorbei“, erläuterte der KH-Hauptgeschäftsführer mit Blick auf eine Umfrage, die sein Haus auf den Weg gebracht hatte. Demnach rechnet knapp ein Drittel (fast 29 Prozent) aller Handwerksbetriebe in den Kreisen Steinfurt und Warendorf in den nächsten sechs Monaten mit sinkenden Umsätzen. Knapp 62 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass ihr Umsatz stabil bleibt. Lediglich neun Prozent der Unternehmen erwarten steigende Umsätze.

Auch für Bereiche wie das Bauhauptgewerbe, in denen es aktuell noch gut läuft, rechnet der KH-Vorstand auf absehbare Zeit mit Rückgängen. „Kommunen, Investoren und viele Privatpersonen legen ihre Bauprojekte aufgrund steigender Zinsen und kaum noch zu kalkulierender Kosten auf Eis. Zudem hat die Inflation die Nachfrage in fast allen Bereichen eingetrübt“, begründete Tischner. Im Handwerk selbst ist die Investitionszurückhaltung ebenfalls angekommen, wie die Umfrage der KH zeigt: So räumten 26 Prozent der Befragten ein, dass sie geplante Investitionen nicht umgesetzt haben.

Kein Fachkräftemangel mehr

Über ein anderes Thema, das die meisten Handwerksbetriebe mittlerweile seit Jahren umtreibt, möchte Tischner – zumindest in der bisherigen Form – nicht mehr sprechen: den Fachkräftemangel. „Das Glas ist bei dem Thema immer nur halb voll und das will ich so nicht mehr! Wer hat schon Lust, in einem der vielzitierten ,Mangelberufe‘ zu arbeiten? Ich habe mir daher vorgenommen, nie mehr von ,Fachkräftemangel‘ zu sprechen. Stattdessen werde ich auf die Chancen hinweisen, die sich daraus ergeben“, verdeutlichte der KH-Hauptgeschäftsführer, der mit dieser Initiative aus dem Schubladen-Denken herauskommen will, das er nach wie vor erkennt. „Unsere Gesellschaft bewertet eine akademische Ausbildung leider immer noch höher als eine handwerkliche. Rational zu erklären, ist das nicht: Die Verdienstmöglichkeiten und Perspektiven sind im Handwerk häufig besser. Das muss aber endlich auch in den Köpfen von Eltern und Lehrern ankommen. Wir brauchen die Gleichberechtigung von akademischer und handwerklicher Ausbildung“, forderte Tischner auch mit Blick auf das vergangene Jahr. 2022 sind in den Kreisen Warendorf und Steinfurt fast 150 weniger Auszubildende ins Berufsleben gestartet als noch im Jahr zuvor. Eine Trendwende ist nicht in Sicht: Laut der KH-Umfrage haben aktuell 65 Prozent der Unternehmen in den Kreisen Warendorf und Steinfurt ihre freien Ausbildungsstellen für das kommende Lehrjahr noch nicht besetzen können. „Die Unternehmen suchen händeringend nach jungen Menschen“, brachte es Tischner auf den Punkt.

Um die die Unternehmen bei diesem Thema zu unterstützen, hat die KH in den vergangenen Jahren verschiedene Projekte auf den Weg gebracht. Unter anderem mit der Azubi-Kampagne „Bist Du bereit?“ und der Social-Media Initiative „Youth-Craft“ informiert die Kreishandwerkerschaft ganz gezielt junge Menschen über Ausbildungsmöglichkeiten und die Vorzüge des Handwerks. Um das Thema schon bei Vorschul-Kindern in den Fokus zu rücken, hat Frank Tischer selbst im vergangenen Jahr ein ganz besonderes Projekt auf die Beine gestellt: Zusammen mit der Handpuppe „Jonas“ hat er in der Vorweihnachtszeit 22 Kindergarten-Gruppen in der Region besucht, um den Mädchen und Jungen auf spielerische Art und Weise das Handwerk ans Herz zu legen. „Für mich war das das emotionalste Projekt der vergangenen Jahre. Es war einfach toll zu sehen, wie gebannt die Kleinen da vor mir saßen“, bilanzierte Tischner, der mit der Aktion 1.050 Kinder erreicht hat, wie er betonte.

Auch eine andere Facette des Fachkräftemangels verfolgt der Hauptgeschäftsführer mit Sorge: Laut KH steht in den kommenden zehn Jahren in 20 Prozent der Betriebe eine Nachfolgeregelung ins Haus. Das Problem: Fast 30 Prozent dieser Unternehmen haben, Stand heute, noch keinen Nachfolger. „Auch hier schlägt der Fachkräftemangel durch“, betonte Tischner. Unter dem Titel „Dein Handwerk, Deine Zukunft“ hat die KH im vergangenen Jahr eine Online-Nachfolgebörse und eine Beratungs-Initiative gestartet, um die Unternehmer aktiv bei diesem Thema zu unterstützen. „Das ist eine Menge Arbeit, die aber auch sehr wichtig ist. Schließlich wollen wir ja nicht, dass gute Handwerksunternehmen vom Markt verschwinden, weil es keine Nachfolgeregelung gibt“, verdeutlichte Tischner, der eine positive Zwischenbilanz für das Projekt zog: „Wir haben damit voll ins Schwarze getroffen. Auch weil wir sehr behutsam vorgehen. Für viele Unternehmerinnen und Unternehmer ist die eigene Nachfolge ein sehr emotionales Thema. Und das berücksichtigen wir natürlich.“

Info:
Im Rahmen des Pressegesprächs teilte der Vorstand auch mit, dass die neuen Berufsbildungsstätten der KH in Rheine und Beckum kurz vor der Fertigstellung stehen. Die offizielle Einweihung soll am 28. April erfolgen. Etwas mehr als 2,5 Jahre haben die Bauarbeiten an den Projekten in Anspruch genommen. Dahinter steckt ein geplantes Investitionsvolumen von etwa 26 Millionen Euro. Für einen Großteil der Kosten hatte die KH Fördermittel (Bund: 45 Prozent, Land: 20 Prozent) eingeworben.

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