Landkreis Grafschaft Bentheim

„Wir jammern auf einem hohen Niveau“

Nordhorn - „Man sieht 2022 in Europa, USA und China eine Wachstumsverlangsamung gegenüber den Vorjahren. Aber es ist kein Einbruch – wir befinden uns in einer Stagnationsphase.“ Das betonte Professor Dr. Lars P. Feld vor rund 380 Gästen beim Neujahrsemfang der Wirtschaftsvereinigung Grafschaft Bentheim. Im Nino-Hochbau in Nordhorn ordnete der ehemalige „Wirtschaftsweise“ und aktuell persönliche Berater des Bundesfinanzministeriums sowie Direktor des Walter Eucken Instituts die wirtschaftlich-politische Lage Deutschlands ein und erläuterte, wie sich das Land angesichts der geostrategischen Herausforderungen 2023 positionieren sollte.

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Feld verglich die wirtschaftliche Situation Deutschlands in den vergangenen Corona-Krisenjahren mit der wirtschaftlichen Entwicklung seit Ende des 19. Jahrhunderts. „Vor diesem Hintergrund ist der BIP-Einbruch, den wir aktuell erleben, längst nicht so dramatisch, wie er beispielsweise in den beiden Weltkriegen war. Klar ist aber auch, dass man die Krise, die man aktuell selbst durchlebt, immer am schlimmsten wahrnimmt. Dennoch jammern wir auf einem hohen Niveau“, stellte Feld klar. Die Inflation lag im Dezember 2022 bei 9,2 Prozent und ist damit leicht gesunken. „Der Wert wird Anfang dieses Jahres weiter heruntergehen, aber es wird 2023 noch keine deutliche Abschwächung geben“, prognostizierte der Professor. Deutlich kritische Worte fand er im Zuge dessen für die Wirtschaftspolitik in der Corona-Krise: „Die Hilfsmaßnahmen sind zu lange gelaufen. Das hat zwar die Nachfrage oben gehalten, aber die Wirtschaft kam mit dem Angebot nicht hinterher.“ Feld sprach sich daher für eine restriktivere Geldpolitik zur Bekämpfung der Inflation aus – gegebenenfalls auf Kosten einer Rezession.

Größere Sorgen machte sich der ehemalige Wirtschaftsweise um die Personalsituation in deutschen Unternehmen: „Wir haben nicht mehr nur einen Fachkräftemangel, sondern einen Arbeitskräftemangel. Dieser Engpass wird 2025 noch deutlicher werden, wenn die Baby-Boomer-Generation in Rente geht“, betonte er.  

In seinem Vortrag warf der Professor außerdem einen Blick auf die Außenpolitik. Die bisherige Weltordnung sei zerfallen. Deutschland komme dabei eine besondere Rolle zu: „Wir sind die am stärksten internationalisierte Volkswirtschaft unter den G7-Ländern. Wir haben mit einem starken Außenhandel große Wertschöpfung, aber gleichzeitig auch große Abhängigkeiten geschaffen – insbesondere von China. Die müssen wir reduzieren, indem wir den Schulterschluss mit den USA sowie allen anderen Ländern, die auf der Seite des Westens und der USA stehen, suchen“, betonte er.

Auch zur Energiewende bezog der Experte Stellung: „Wir kommen – Stand jetzt – gut durch die Energieverknappungsphase. Es sieht nicht so schlecht aus“, ermutigte er die Unternehmerinnen und Unternehmer aus der Grafschaft. Dennoch sei die bisherige Energiepolitik vor die Wand gefahren. Feld sprach sich unter anderem für eine Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke aus – „als Vorkehrung für den Fall, dass die russische Gaslieferung vollständig gestoppt wird.“ Dass die Energiewende teuer werde, sei nicht mehr verhinderbar. „Wir werden den Übergang zu erneuerbaren Energien nicht mehr mit billigem Gas aus Russland gestalten können. Für die Energieversorgung werden wir in den kommenden Jahren mit deutlich höheren Kosten rechnen müssen“, blickte Feld voraus. Er wünsche sich daher unter anderem schnellere Genehmigungsverfahren, etwa für Windkraftanlagen, so der Professor weiter.

Dass die Energiewende in der Grafschaft Bentheim schon auf einem guten Weg ist, betonte Klaas Johannink, Vorstandsvorsitzender der Wirtschaftsvereinigung. Zum Beispiel beim Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur. „Durch die Grafschaft und in unmittelbarer Nähe verlaufen Pipelines, die für den überregionalen Transport von Wasserstoff zukünftig eine wichtige Rolle spielen. In Lingen wird einer der größten Elektrolyseure Deutschlands entstehen. Im vergangenen Jahr haben wir gemeinsam mit dem Landkreis und Unternehmen erste Weichen für eine vernünftige Nutzung dieser Infrastruktur stellen können“, betonte Johannink.

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