Kreis Borken

„Wenn ich wachsen möchte, muss ich die Region verlassen“

Dietmar Sicking, Geschäftsführer Lumundi (Foto: Lumundi)

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Ahaus - Anfang April ist der Fulfillment-Dienstleister Lumundi aus Ahaus an einen „neuen“ Standort gezogen. Warum er sich für den Umzug entschieden hat, was er sich seitens der Kommunen bei der Vergabe von Gewerbegrundstücken wünscht und wie sich die Corona-Pandemie auf sein Unternehmen auswirkt, erklärt Geschäftsführer Dietmar Sicking im Interview mit Wirtschaft aktuell.

 

Herr Sicking, vor Kurzem haben Sie Ihren Standort von der Dieselstraße in Ahaus an die Einsteinstraße verlegt. Warum haben Sie sich für diesen Schritt entschieden?


Unser Standort an der Dieselstraße war zu klein. In den vergangenen Jahren haben wir uns dort insgesamt viermal vergrößert und außerdem ein Außenlager in Rhede eröffnet. An der Einsteinstraße haben wir nun drei zusammenhängende Hallen mit einer Fläche von circa 5.000 Quadratmetern gemietet. Unser Außenlager in Rhede bleibt aber weiterhin mit 5.000 Palettenstellplätzen als Nachschublager bestehen. Die Lösung jetzt ist allerdings nicht so, wie wir ursprünglich geplant hatten: Eigentlich wollten wir neu bauen, doch wir haben im Altkreis Ahaus kein Grundstück bekommen.

 

Warum nicht?


Ich war auf der Suche nach einer Fläche zwischen 10.000 und 15.000 Quadratmetern. Es ist schwierig, in dieser Größenordnung überhaupt ein Grundstück zu finden. Außerdem haben die Kommunen abgelehnt, als sie erfahren haben, dass wir in der Logistikbranche aktiv sind. Zumindest in Legden wurde wohl schon früh festgelegt, dass keine Logistiker in den Industriepark A 31 ziehen sollen, um zu vermeiden, dass dort große Lagerhallen ohne Arbeitsplätze entstehen. Wir aber beschäftigen aktuell schon knapp 50 Mitarbeiter, Tendenz steigend. Das Geschäftsmodell E-Commerce-Fulfillment, das wir bedienen, ist relativ neu und unbekannt – ich kann mir vorstellen, dass es auch deshalb Skepsis gibt. Das ist sehr schade, weil ich als Legdener Bürger und Unternehmer gerne in der nahen Region arbeiten würde. Ich kann mich, Stand heute, nicht weiter vergrößern. Wenn wir weiterwachsen möchten, muss ich wohl die Region verlassen. 

 

Was würden Sie sich denn von den Kommunen wünschen, wenn es um die Vergabe von Gewerbegrundstücken geht?


Bei der Vergabe von neuen Gewerbeflächen werden aktuell vor allem Betriebe bevorzugt, die nur kleine Hallen benötigen. Es entsteht dadurch eine maximale Fragmentierung in den neuen Gewerbegebieten mit kleinen Grundstücken und Hallen, die nicht wirklich nachhaltig genutzt werden können. Dazu wünsche ich mir eine höhere Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Geschäftsmodellen und dass das Schubladendenken abgelegt wird. Aber auch wir haben in der Kommunikation Fehler gemacht. Ich habe unser Unternehmen als Logistikunternehmen vorgestellt, um für die Politik das Verständnis für mein Geschäftsmodell zu erleichtern. Das mag auch dazu beigetragen haben, dass der eigentliche Geschäftszweck und auch die Möglichkeiten für die unterschiedlichen Arten von Arbeitsstellen in der Politik missverstanden wurden. Allerdings habe ich auch durch ausführliche Erklärungen oder persönliche Gespräche mit den Bürgermeistern nicht viel ausrichten können. In diesem Zuge hatte ich auch angeregt, seitens der Politik mehr Unterstützung für Unternehmen zu geben, die die Möglichkeit hätten, in eine Altimmobilie ziehen.

 

Inwiefern?


Uns ist klar geworden, dass es mitunter nachhaltiger sein kann, in ein Bestandsgebäude zu ziehen, als immer nur neu zu bauen. Das sehe ich positiv an unserem Umzug in die bestehende Immobilie: Es wirkt dem Flächenfraß entgegen und verbraucht weniger Ressourcen. Außerdem sorgt es dafür, dass neu erschlossene Gewerbegebiete nicht direkt wieder vollständig vermarktet sind. Deshalb sollten Städte und Gemeinden Anreize für Unternehmen schaffen, ihren Standort in eine Altimmobilie zu verlegen, wenn sie über einen Umzug oder Neugründung nachdenken. Fördertöpfe für die Sanierung oder für Umbauprojekte könnten zum Beispiel helfen. Außerdem sollten Unternehmen bei Interesse an einer Gewerbefläche zunächst Vorschläge für eine genauso gut passende Altimmobilie erhalten, wenn eine vorhanden ist. So könnten zunächst leerstehende Hallen genutzt werden, vor allem von kleineren Betrieben. Hier kann auch der Flächentausch aus der Landwirtschaft als Vorbild dienen, wie es in der Flurbereinigung getan wurde. Besitzer geben also Parzellen an andere Unternehmen ab und erhalten dafür Optionen auf größere Flächen in neuen Gewerbegebieten.

 

Eine weitere Herausforderung, die die Wirtschaft seit mehr als einem Jahr beschäftigt, ist die Corona-Pandemie. Durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens sind die Umsätze im E-Commerce gestiegen. Welche Auswirkungen hatte das auf Ihr Unternehmen?


Die Umsätze sind zwar gestiegen, doch mehr Umsatz heißt nicht gleich mehr Gewinn. Als Dienstleister hatten wir mit einigen Hürden und Klippen zu kämpfen: Einige unserer Beschäftigten mussten sich zum Beispiel um ihre Kinder kümmern und konnten nicht wie sonst zur Arbeit erscheinen. Außerdem sind unter anderem die Rohstoffpreise für Kartonage gestiegen. Und nicht zuletzt gab es durch die Blockade des Suezkanals eine Materialkrise: Keine Ware kam mehr an, unser Lager war oft im Meldebestand. Nach außen hin hat der Online-Handel zwar geboomt, doch dieser Boom war mit mehr Kosten und Aufwand verbunden. Profitiert haben in erster Linie die großen Onlinehändler – auch, weil sich die großen Paketdienstleister bei einem hohen Paketaufkommen zuerst um die Sendungen dieser Händler und Marktplätze gekümmert haben. Wir sind Dienstleister für kleine und mittlere Onlineshops und Einzelhändler und hatten somit ähnliche Herausforderungen wie der normale Handel.

 

Wie haben Sie diese Herausforderungen gemeistert?


Unser Team hat dabei eine wesentliche Rolle gespielt. Alle Mitarbeiter haben sich sehr engagiert und solidarisch verhalten und unsere Pläne mitgetragen. Wir haben ein neues Schichtsystem eingeführt und im Lager haben wir zum Beispiel die Packplätze neu arrangiert, um so für noch mehr Abstand zu sorgen.

 

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?


Wir planen nun weitere überregionale Standorte. Die Vergangenheit hat uns einfach bewiesen, dass wir nur dann Geschwindigkeit aufbauen können, wenn wir die Region auch verlassen. Der Standort in Ahaus wird aber erhalten bleiben. Zudem werden wir unsere eigene Fulfillment-Software weiter ausbauen und gemeinsam mit weiteren Unternehmen bekannter machen. Die Software hilft dabei, den eigenen Versand zu digitalisieren und ist speziell auf den E-Commerce zugeschnitten. Unsere Wurzeln liegen in einem Onlineshop für religiöse Geschenke, deshalb wissen wir, worauf es im E-Commerce ankommt. Künftig möchten wir außerdem Kunden für uns gewinnen, die mehr im kleinteiligen B2B-Versand Hilfe brauchen, zum Beispiel Ersatzteile für Maschinen verschicken. In der Predictive Maintenance, also der vorbeugenden Instandhaltung, wird dieser Ansatz immer wichtiger: Die Maschine gibt automatisch Bescheid, sobald eine Wartung ansteht oder ein Ersatzteil benötigt wird. Wenn wir das Ersatzteil dann für unseren Kunden verschicken, spart er sich wiederum viele Arbeitsschritte. Lumundi Versand mit ihrem Fulfillment-Service Servantful ist nun nach dem Umzug vollständig auf Wachstum ausgerichtet. Das werden wir vorantreiben.

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