Münster

Es geht um Vertrauen und Transparenz

Der Psychologe und Mediator Dr. Klaus Harnack ist an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster am Institut für Psychologie am Lehrstuhl für Arbeitspsychologie WOP tätig. Er hat zusammen mit Herman Brodie das Buch „The Trust Mandate“ geschrieben. Im Interview mit Wirtschaft aktuell erklärt er aus der wissenschaftlichen Perspektive, worauf es in der Corona-Zeit bei der Kommunikation mit Mitarbeitern ankommt und wie Unternehmen auch in der Krise Vertrauen zu Kunden aufbauen können.

Dr. Klaus Harnack (Foto/Quelle: Westfälische Wilhelms-Universität)

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Herr Dr. Harnack, was müssen Führungskräfte im Blick behalten, wenn sie mit ihrem Mitarbeitern in der Krise richtig kommunizieren möchten?
Es ist wichtig zu wissen, dass man es nicht mit nur einem Personenkreis zu tun hat, wenn es um die Kommunikation in Corona-Zeiten geht. Es gibt Menschen, die Angst haben und die die Situation nicht einschätzen können. Dadurch verändert sich ihre Wahrnehmung. Dann gibt es Schutzbedürftige, die aus einer rationalen Abwägung die Entscheidung treffen, dass sie sich anders verhalten müssen. Das sind zum Beispiel Personen, die zuhause Angehörige pflegen. Dazu kommen Menschen, die grundsätzlich immer Kontra sind und mit Corona plötzlich ein Thema gefunden haben, an dem sie sich abarbeiten können oder über das sie andere Kritikpunkte loswerden. Und dann gibt es die große Mehrheit – eigentlich die schweigende Masse – die einen rationalen Umgang mit Corona pflegt. Über die wird tendenziell am wenigsten geredet. Meistens stehen die Kontra-Leute im Vordergrund. Davon darf man sich in der professionellen Kommunikation nicht verleiten lassen. Man muss vor Augen haben, wie die tatsächlichen Verteilungswerte in der Gesellschaft sind. Dann ergibt sich sicher ein ganz anderes Bild im Vergleich zu dem, worüber immer gesprochen wird.


Also sollten Unternehmen in ihrer Kommunikation in erster Linie auf die große Gruppe und nicht auf die Sondergruppen abzielen?

Genau. Trotzdem sollten Führungskräfte nicht aus dem Blick verlieren, wen sie vor sich haben. Denn es kann natürlich sein, dass im Team auch jemand ist, der einer Sondergruppe angehört. Ich habe zuletzt wieder einige Präsenzseminare durchgeführt und da sind oft ein oder zwei Personen dabei, die Zuhause noch einen Angehörigen betreuen. Ich erinnere mich an eine kerngesunde junge Frau, die ich nie zu der schutzbedürftigen Gruppe gezählt hätte. Doch sie hatte ihrer Oma versprochen, vorsichtig zu sein. Wenn so etwas in einer Gruppe nicht transparent gemacht wird, stehen Menschen wie das Mädchen aus dem Seminar allein da. Also sollte man die Beteiligten einzeln zu ihrem „Corona-Standpunkt“ befragen, damit man niemanden übersieht. In Bezug auf die Mitarbeiter bedeutet das, dass man zum Beispiel in Einzelgesprächen kurz abtastet, wie derjenige zur aktuellen Situation steht. So wird man ihnen gerecht. Und dann wird aus dem Menschen, der vorher einer Sondergruppe angehört hat, auch schnell wieder jemand, der zur rationalen Masse gehört.


Was ist aus Ihrer Sicht hilfreich, wenn es um die interne Kommunikation in diesen Tagen geht?

Einen Code oder eine Art Minikultur zu entwickeln, die sich etabliert und die dann auch gelebt werden kann. Ein Beispiel: Am Anfang der Pandemie fiel es vielen Menschen sehr schwer, sich nicht die Hand zu geben. Die Lösung: Im Betrieb kann man sich eine Alternative überlegen und sich zum Beispiel auf den Corona-Check – einen Gruß mit dem Ellenbogen – einigen. Dieser Gruß zeichnet dann die Gruppe aus und alle halten sich daran. Das macht dann wieder Spaß, denn eine Kultur zu entwickeln, kann durchaus förderlich sein. Aber für Halbherzigkeiten ist kein Platz: Es darf also keinen Abwägungsprozess geben in dem Moment, in dem ich jemanden treffe. Alle machen den Corona-Check, unabhängig davon, wen man trifft. Das gilt für alle notwendigen Maßnahmen, sei es das Lüften oder die neue distanzierte Sitzordnung. So werden Ressourcen frei, die in einem Abwägungsprozess belegt wären und man hat wieder Energie für andere Dinge.


Welche Auswirkungen hat es auf den Zusammenhalt im Team, wenn plötzlich ein Großteil der Mitarbeiter im Home Office arbeitet?
Ich denke, die aktuelle Situation wirkt wie ein Katalysator. Wenn es im Team einen Flüchter gibt, der sich sowieso immer zurückzieht und seine Bürotür gerne schließt, dann ist es für ihn wunderbar, endlich im Home Office arbeiten zu können. Da verstärken sich also Mechanismen. Das Problem, dass dieser Mitarbeiter ein Flüchter und schlecht ins Team integriert ist, gab es aber schon vorher. Nur zeigt es sich in der Home-Office-Situation noch stärker. Dann stellt sich die Frage für die Führungskraft: Muss ich mich jetzt dazu entschließen, diese Person anders zu integrieren oder hätte ich das vielleicht schon vorher machen müssen? Was ich vielmehr als ein Problem sehe, ist die fehlende soziale Interaktion im Home Office. Was fehlt, sind die kleinen Interaktionen, die kleinen sozialen Kicks des Alltags, die das Leben gut machen. Das fängt bereits bei Banalitäten wie dem Lästern an: Wenn man sich zusammen in der Küche trifft und einfach zwei Minuten über einen Kollegen oder den Chef lästern kann, dann ist das ein ganz wichtiger Mechanismus. Es ist ein Mechanismus der Zusammengehörigkeit, aber auch eine Art Mini-Supervision, die die Menschen bei sich selbst durchführen, wenn sie etwas verbalisieren und ansprechen können. Das fällt im Home Office weg. Und keine noch so gut organisierte Videokonferenz kann das kompensieren. Man sollte also darüber nachdenken: Wie kann man den sozialen Kick der Mitarbeiter aufrecht erhalten, auch wenn sie verringerten Kontakt haben?
 

Haben Sie eine Idee, wie das gehen kann?
Nicht wirklich. Um auf das Beispiel Lästern zurückzukommen: Das ist ein intimer Austausch, dazu braucht es ein nicht verabredetes Treffen, das sich kurzfristig ergibt. Es gibt einen situativen Rahmen, in dem der Austausch stattfindet. Das sehe ich online nicht. Es sei denn, die Beteiligten würden per Zufall miteinander gemischt und dazu aufgerufen, sich zwei Minuten zu unterhalten. Quasi eine Art Warmmachphase vor dem Videomeeting oder ein virtuelles Speeddating, in dem man diesen zwischenpersönlichen Austausch und die menschliche Dimension kurz ausleben kann. Ich denke, das muss man probieren und dann muss man schauen, welche Kulturen sich etablieren können. Wichtig finde ich, dass Führungskräfte die Wichtigkeit dieses Austausches auf dem Tableau haben. Wer nur die Agenda abarbeitet, hat unter dem Strich kein Team. Ein Team kann den Wegfall des zwischenmenschlichen Kicks zwar für eine Weile kompensieren, aber auf Dauer glaube ich, dass Probleme entstehen.


Was können Führungskräfte tun, um Ihrer Rolle auch in Zeiten von Home Office gerecht zu werden?
Man muss bittererweise sagen, dass viele Chefs nur über Präsenz führen können. Wenn ihre Mitarbeiter nun plötzlich nicht mehr präsent sind, dann fällt es gerade im Mittelmanagement vielen Verantwortlichen schwer, ihre Führungsrolle noch auszuführen. Das Stichwort „digitale Führungskompetenz“ fällt an der Stelle oft. Viele Geschäftsführer verlieren ihr Hauptführungswerkzeug, wenn ihr Team von Zuhause arbeitet. Plötzlich müssen sie sich inhaltlich mit den Menschen auseinandersetzen und wirklich schauen: Was brauchen sie? Und das können viele nicht. Weil sie sich nicht offenbaren wollen, fordern sie dann von ihrem Team, weiterhin vor Ort zu sein. Das sorgt dann wiederum für Fragen von Seiten der Mitarbeiter: „Warum können wir nicht im Home Office arbeiten?“ Und an der Stelle gibt es eigentlich keine richtige Argumentationsgrundlage von der Führungsebene. Das baut wiederum Spannungen auf, die sich höchstwahrscheinlich an einem anderen Punkt entladen. Scheindiskussionen sind die Folge.


Wie baut man denn digitale Führungskompetenz auf?
Das muss man üben. Auch die Wissenschaft steht da noch in den Anfängen. Es gibt viele Ansätze, die zwar nicht unter dem Stichwort „digitale Führungskompetenz“ auftauchen, aber dennoch dieses Loch mit füllen. Digitales Führen ist eine echte Kompetenz, die gelernt werden will.


Welchen Tipp haben Sie für Führungskräfte, die nicht wissen, wie sie das Thema angehen sollen?

Wenn Verantwortliche ihre Führungsidee vorher nur über die Präsenz definiert haben, dann haben sie nie gelernt, Mitarbeiter als Person mit unterschiedlichen Interessen zu begreifen. Wenn sie allerdings schon vor der Krise wussten, dass sie auf ihre einzelnen Mitarbeiter aufgaben- und personenorientiert eingehen, dann werden sie das auch leichter digital umsetzen können. Ein wichtiges Stichwort ist die „transformationale Führung“, also die Einbindung der Mitarbeiter in den übergeordneten Prozess und das Aufzeigen von gemeinsamen Zielen. Dem entgegen steht die „transaktionale Führung“, die eher auf direkte und klare Aufgabenverteilung setzt. Es gibt für beide Stile Vor- und Nachteile, am Ende ist es eine persönliche Entscheidung. Wichtig ist, dass man den eigenen Führungsstil anpasst.


Zur Bewältigung der Krise müssen viele Unternehmer unpopuläre Entscheidungen treffen. Worauf sollten die Verantwortlichen achten, wenn sie ihre Teams über schwierige Themen wie Kurzarbeit, Umstrukturierungen oder gar Stellenabbau informieren müssen?

Sie müssen vorbereitet sein. Transparenz ist ebenfalls wichtig. Auch das „warum“ muss geklärt werden – das ist eigentlich die Hauptsache. Es darf nicht heißen: „Wir machen Änderungen“, sondern „Wir machen Änderungen, weil…“. Dieses „weil“ muss nachvollziehbar sein. Betriebe mit einer guten Unternehmenskultur sind im Vorteil: Wenn über Jahre transparent gehandelt wurde und die Belegschaft weiß, wie es um den Betrieb steht, hat man wenig Probleme bei der Übermittlung und Erklärung einer negativen Botschaft. Wer allerdings mit der Tür ins Haus fällt und dann auch noch keine Begründung liefert, sorgt für den worst case. Schlechter kann es nicht laufen. Mitarbeiter benötigen in jedem Fall eine Begründung. Und vor allem eine Begründung, die sie nachvollziehen können. Denn nur eine Begründung mit dem Verweis auf die Geschäftszahlen ist schwer zu verstehen. Dann entstehen von Seiten der Mitarbeiter Gedanken wie: „Es gibt doch Rücklagen“, „Es gibt doch noch einen anderen Vertrag“ oder „Wir wollten doch gerade ein neues Produkt entwickeln.“ Der Grund muss also mit eingebaut sein – aber das funktioniert nur glaubwürdig, wenn man auch vorher schon so gehandelt hat.

Die zweite Seite der Medaille ist für die Unternehmen die externe Kommunikation. Was sollten Unternehmen in der Kommunikation mit Kunden beachten?
Wie in unserem Buch „The Trust Mandate“ beschrieben, ist das Vertrauensverhältnis zwischen Unternehmen und Kunde eine wichtige Stellschraube. Klassischerweise ist die Definition von Vertrauen, dass es nur dann entsteht, wenn sich der andere ein Stückweit verwundbar macht. Das ist erforderlich, weil der jeweils andere die Stellen, an denen ich mich verwundbar mache, ja besser ausfüllen kann. Und dafür benötige ich zwei Komponenten: Zum einen muss ich wissen, dass mein Gegenüber mir wohlgesonnen ist, dass er eine gute Absicht hat. Die zweite Frage, die ich mir stelle, ist: Kann er diese Absicht tatsächlich umsetzen? Diese beiden Kernfragen müssen beantwortet sein, damit Vertrauen aufgebaut werden kann. An dieser Stelle passiert der häufigste Fehltritt: Die meisten Menschen legen ein starkes Gewicht auf die Kompetenzdimension. Dabei ist das eigentlich erst die zweite Frage, die beantwortet werden sollte. Die erste Frage wäre erst einmal: Bist du überhaupt gewillt, tatsächlich eine gute Leistung zu bringen? Diese positive Intention ist das, was meistens nicht so sehr gezeigt wird. Wenn eine Krise aufkommt und es um das Vertrauen geht, wird in den meisten Fällen auf die Kompetenz abgezielt.


Wie schaffen es Unternehmen denn, ihre positive Intention zu verdeutlichen?

Was dabei oft hilft, sind Ähnlichkeiten. Wenn Menschen sich selbst in ihrem Gegenüber sehen, dann denken sie: „Wenn der so ähnlich ist wie ich, dann kann der nicht so schlecht sein.“ Ähnlichkeiten können alles Mögliche sein: Der gleiche Heimatort, die gleiche Ausgangssituation, sogar der gleiche Vorname der Tochter. In dem Moment, in dem der Mensch eine Ähnlichkeit in seinem Gegenüber entdeckt, ist das Gehirn faul und versucht die Annahme zu bestätigen, dass der jeweils andere so ähnlich ist wie man selbst. Dann kommt es zum Vertrauensaufbau, weil die positiven Aspekte im Gegenüber gesucht werden. Die Suche nach Ähnlichkeiten ist vermeintlich nur eine Kleinigkeit, die sich leicht umsetzen lässt. Sie hilft aber extrem dabei, wenn man über verlorenes Vertrauen spricht. Man sollte also weniger auf die Kompetenzdimension setzen, sondern tatsächlich mehr auf die Zwischenmenschlichkeit und die Absicht, die dahintersteckt. Das Signal muss sein: Ich bin dir wohlgesonnen.


Dann kann also auch die Corona-Krise ein guter Aufhänger für ein Gespräch sein – schließlich ist das eine Ähnlichkeit, die momentan alle teilen?
Auf jeden Fall. Da sitzen wir tatsächlich ganz oft in einem Boot. Ein Anknüpfungspunkt kann es sein, zu sagen: Wir gehen jetzt gemeinsam durch diese Krise. Daran knüpft die Idee der Transparenz an. Wenn wir uns Fairnessforschung anschauen, dann ist die Transparenz immer der Faktor, der nachher das Fairnessbewusstsein oder das Fairnessgefühl am meisten vorhersagt. Das gilt auch für die Gerechtigkeit des Prozesses: Wie sehe ich und wie kann ich erkennen, was hier wirklich passiert? Die Menschen fühlen sich am wohlsten, wenn sie wirklich verstehen, welche Prozesse ablaufen. Dieses Offenlegen hilft dabei, das Vertrauen zu stabilisieren. Wenn ich etwas von mir erzähle, was mich vielleicht angreifbar macht – und wenn auch nur ein kleines bisschen – dann ist das ein Vertrauenssignal und dann wird meist reziprok reagiert: Okay, wenn du dich ein bisschen offenbarst, dann offenbare ich mich auch ein bisschen. Und das ist die Chance, auch unter besonderen Umständen, die die Krise sicherlich bringt, gute Deals zu machen. Weil dann nämlich die andere Seite weiß, mit wem sie es zutun hat.


Kann es denn nicht auch kontraproduktiv sein, wenn ein Unternehmer im Gespräch mit anderen Geschäftsführern offenlegt, dass die Krise seinen Betrieb getroffen hat?
Nein. Wichtig dabei ist natürlich, bei den Fakten zu bleiben und nicht zu übertreiben. Tatsächlich ist genau das das Erfolgsgeheimnis: Transparenz zeigen, etwas von sich Preis geben. Denn der zweite Faktor, die Kompetenz, ist nicht so entscheidend. Natürlich ist sie grundsätzlich da, sonst hätten die Unternehmen den Kunden nicht. Aber vielfach hilft es nicht, besser zu werden oder die Kompetenz zu steigern, um einen Auftrag zu bekommen. Stattdessen sollten Unternehmen das Problem so betrachten: Es sind schwierige Umstände, dann müssen wir eben schauen, wie wir das Vertrauen über die Intention gewinnen. Und die Intention impliziert auch Flexibilität. Wenn ich die Absicht habe, jemandem zu helfen, dann mache ich das im Zweifel auch ein bisschen anders oder gehe neue Wege. Der flexible Faktor sorgt für den Kick, in der Krise trotzdem handeln zu können. Vertrauen und Transparenz sind also im Paket ein wichtiges Kommunikationstool.

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