Kreis Coesfeld

„Es braucht die Bereitschaft, Altbekanntes zu hinterfragen“

Nottuln - Die Rhenus Gruppe hat gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) eine vollständig digitalisierte und ressourcenschonende Prozesskette zur Entsorgung sensibler Unternehmensdaten entwickelt und auf den Markt gebracht. Wie die Idee zum IoT (Internet of Things)-gestützten Füllstandssensor entstanden ist und wie die Gestaltung mithilfe des Fraunhofer IML als Partner aus der Wissenschaft ablief, erklärt Michael Wiegmann, Geschäftsführer von Rhenus Data Office – dem Datenspezialisten innerhalb der Rhenus Gruppe mit Sitz in Nottuln – im Interview.

Michael Wiegmann, Geschäftsführer Rhenus Data Office

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Herr Wiegmann, Sie haben in der Rhenus Gruppe eine IoT-gestützte Innovation eingeführt und das auch noch in Zusammenarbeit mit einem Partner aus der Wissenschaft. Das klingt auf den ersten Blick sehr kompliziert. War es das?
Überhaupt nicht. Der Hauptsitz der Rhenus Gruppe ist in Holzwickede bei Dortmund, in unmittelbarer Nähe zum Hauptsitz des Fraunhofer IML. Zusätzlich gibt es eine fachliche Nähe zum Institut und sehr gute Kontakte zum Institutsleiter, Professor Michael ten Hompel. Er ist sehr daran interessiert, Ergebnisse aus seiner Forschungswelt in die Praxis zu bringen und Lösungen für konkrete „Pain Points“ von Unternehmen zu entwickeln. Deshalb haben sich Vertreter des Fraunhofer IML und Vertreter unseres Unternehmens getroffen, um mögliche Kooperationsfelder zu identifizieren. Das Fraunhofer IML hat seine technischen Lösungen vorgestellt, wir haben verschiedene Probleme aus dem Unternehmensalltag skizziert. Der smarte Füllstandssensor stellte sich dabei als optimaler Projektgegenstand heraus.

Was war denn das Problem, das Sie damit nun gelöst haben?
Rhenus Data Office unterstützt Unternehmen unter anderem dabei, sensible Daten wie zum Beispiel Akten sicher zu entsorgen. Vor der Entwicklung des Füllstandssensors verlief unsere Abholung von vollen Datenbehältern etwa so: Ein Mitarbeiter bei unserem Kunden bemerkte, dass die Aktentonne voll ist. Er gab beispielsweise dem internen Facility Management Bescheid, das rief bei uns an und beauftragte die Abholung. Da unsere großen Kunden in der Regel aber nicht nur einen Behälter im Gebäude haben, musste beim Auftrag zur Abholung zusätzlich der Standort beschrieben werden, was in der Kommunikation nicht selten eine Herausforderung war. In der Zeit, bis der Behälter tatsächlich abgeholt wurde, haben häufig weitere Mitarbeitende des Kunden vergebens versucht, ihre Akten zu vernichten und weitere Abholprozesse initiiert, da sie nicht wussten, dass der Prozess bereits läuft. Zudem entstand ein Datenschutz-Risiko durch überfüllte Aktenbehälter, die nicht direkt vernichtet werden konnten.

Wie läuft der Abholungsprozess jetzt?
Mit dem IoT-gestützten Aktenhandling meldet sich der Füllstandssensor, den wir an allen Datenbehältern angebracht haben, automatisch, bevor ein Behälter voll ist. Der Kunde muss also weder telefonieren noch den Standort eines Behälters im Unternehmen beschreiben. Durch den frühzeitigen, automatischen Impuls können wir die Logistik vorausschauend planen und den vollen Behälter zum optimalen Zeitpunkt gegen einen neuen, leeren austauschen.

Wie sah die Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IML in der Praxis aus?
Wir haben uns bewusst dafür entschieden, das Fraunhofer IML mit der Projektleitung zu betrauen, um eine wissenschaftliche Herangehensweise zu gewährleisten. Wir von Rhenus Data Office haben dann die Herausforderungen aus der Praxis gespiegelt, also definiert, welche Anwendungsfälle wir lösen möchten. Ein Kernteam entwickelte den Sensor. Weitere Beteiligte haben sich mit den Folgethemen auseinandergesetzt. Dazu gehörte unter anderem die Einführung eines neuen ERP-Systems, das das Sensorsignal verarbeiten kann. Das Projekt hat mit allen Bestandteilen Anknüpfungspunkte in praktisch allen Unternehmensbereichen gefunden.

Wie haben Ihre Mitarbeitenden darauf reagiert?
Wir haben mit unserem Team den kompletten Change-Management-Prozess durchlaufen. So haben wir die Mitarbeitenden von vorneherein mitgenommen und eine große Bereitschaft zur Veränderung und Begeisterung für die Vorteile der Automatisierung im neuen Prozess geschaffen. Das System brachte uns auch am Markt als Innovations- und Technologieführer nach vorne.

Was würden Sie anderen Unternehmen bei der Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Institutionen raten?
Es sollte einen bestimmten Use Case für die Kooperation geben, also eine klare Zielsetzung, was erreicht werden soll. Am Ende muss die Entwicklung einen wirtschaftlichen Mehrwert haben und möglichst früh „ins echte Leben“ überführt werden können. Im besten Fall übersteigen die resultierenden Einsparungen die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung und bringen finanzielle Mittel für weitere Forschungsinvestitionen. Dennoch sollte man sich bewusst sein, dass es für die Automatisierung oder Digitalisierung die Bereitschaft braucht, Altbekanntes zu hinterfragen. Außerdem ist es eine echte Herausforderung, sich bei solchen Projekten auf den sprichwörtlichen Beifahrersitz zu setzen. Doch nur so vermeidet man Betriebsblindheit und kann das Projekt möglichst unvoreingenommen umsetzen.

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