Sozialversicherungspflicht | Unternehmen bleiben selbst verantwortlich

Was ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs zur Beurteilung der Sozialversicherungspflicht von Mitarbeitern für Unternehmen bedeutet, erklärt Steuerberater und Rechtsanwalt Berthold Brombach von der Heisterborg Steuerberatungsgesellschaft in Stadtlohn für Wirtschaft aktuell.

Grafik: Nadine Tenhaken

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Unternehmen haben als Arbeitgeber gesetzliche Verpflichtungen gegenüber den Sozialversicherungsträgern wahrzunehmen: Nimmt ein neuer Mitarbeiter seine Arbeit auf, entscheidet der Arbeitgeber grundsätzlich eigenständig darüber, ob es sich im Einzelfall um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder um eine selbstständige Tätigkeit handelt. Unternehmen haben für alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten grundsätzlich zu Beginn und Ende einer Beschäftigung Meldungen an die zuständige Krankenkasse zu übermitteln. Selbst wenn die Lohnabrechnung der Unternehmen auf einen Steuerberater übertragen wird, bleiben die Unternehmen für wichtige Grundsatzfragen wie die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht von Mitarbeitern zunächst selbst verantwortlich. Das hat der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil vom 8. Februar 2024 so entschieden. 

Der Fall
Eine GmbH, an der drei Gesellschafter-Geschäftsführer zu gleichen Teilen beteiligt waren, ließ ihre Lohnbuchhaltung seit 2013 von einer Kanzlei aus Rechtsanwälten und Steuerberatern erledigen. Diese hatte die Anstellungsverträge der Geschäftsführer entworfen und Kenntnis vom Inhalt des Gesellschaftsvertrags. Die drei Gesellschafter-Geschäftsführer galten als selbstständig – Sozialversicherungsbeiträge flossen für sie nicht. 2014 bat der Versicherungsmakler die externen Lohnbuchhalter, einen Fragebogen für die Berufsgenossenschaft auszufüllen. Sie sollten den beschriebenen Status der Geschäftsführer bestätigen. Die Kanzlei gab an, dass die Geschäftsführer „im wesentlichen weisungsfrei hinsichtlich Zeit, Dauer, Umfang und Ort der Tätigkeiten“ seien. Eine ausdrückliche Bestätigung der Sozialversicherungsfreiheit erfolgte nicht. 

Eine Betriebsprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung beurteilte die Geschäftsführer jedoch später als sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer. Das Unternehmen sollte Beiträge in Höhe von 258.325,55 Euro nachzahlen. Es verklagte nun die Kanzlei auf Schadensersatz. Die Vorinstanz, das Oberlandesgericht Koblenz, gab der Klage statt und stellte fest: Die Kanzlei hätte die Frage, ob eine für die Sozialversicherungsfreiheit erforderliche unabhängige Tätigkeit der Gesellschafter-Geschäftsführer vorgelegen habe, klären müssen.

Die Entscheidung 
Der Bundesgerichtshof beurteilte die Angelegenheit jedoch anders. Die Richter argumentierten: Im Rahmen einer Mandantenlohnbuchhaltung besteht keine Pflicht zur Klärung sozialversicherungsrechtlicher Grundsatzfragen wie der Frage der Sozialversicherungspflicht oder -freiheit. Die Lohnbuchhaltung ist keine Rechtsberatung, sondern lediglich eine Hilfeleistung bei der Erfüllung der Buchführungspflichten. Über die erforderliche sozialrechtliche Sachkunde braucht ein durchschnittlicher Lohnbuchhalter nicht zu verfügen. Das gilt selbst dann, wenn die Lohnbuchhaltung von einer Kanzlei aus Rechtsanwälten und Steuerberatern durchgeführt wird.

Einer Berechnung der Abzugsbeträge ist die Frage der Sozialversicherungspflicht der Tätigkeit eines Mitarbeiters des Mandanten vorgelagert. Somit hat der Lohnbuchhalter zunächst nach einer verbindlichen Vorgabe dazu durch den Auftraggeber zu verfahren. Meist wird diese allerdings fehlen. Ist somit die statusrechtliche Einordnung des Mitarbeiters weder als geklärt noch als zweifelsfrei anzusehen, hat der Lohnbuchhalter auf eine Klärung der sozialversicherungsrechtlichen Statusfrage durch den Aufraggeber hinzuwirken. Der Lohnbuchhalter muss seinen Mandanten anhalten, entweder anwaltlichen Rat einzuholen oder die Statusfrage anderweitig zu klären – und zwar im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens oder eines Verfahrens vor den Einzugsstellen der Krankenkassen. Zugleich muss er seinen Mandanten um eine Entscheidung zum weiteren Vorgehen und zur statusrechtlichen Behandlung des betroffenen Mitarbeiters ersuchen.

Übernimmt der externe Dienstleister jedoch ausnahmsweise ausdrücklich die Klärung sozialversicherungsrechtlicher Fragen, kann er dafür auch haftbar gemacht werden. Der Bundesgerichtshof hat die Sache zur weiteren Klärung an die Vorinstanz zurückverwiesen.  Es ist noch zu klären, in welchem Umfang das Mandat erteilt wurde und wie das Verschulden konkret verteilt ist. 

Fazit 
Grundsätzlich sind Unternehmen als Arbeitgeber verantwortlich für die Klärung der Frage, ob Mitarbeiter sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder selbstständig tätig sind. In Zweifelsfällen sollten Unternehmen immer ein Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund einleiten. Die prüft den sozialversicherungsrechtlichen Status eines Mitarbeiters und stellt diesen durch Bescheid fest. Nur so besteht Rechtssicherheit. Gut ausgebildete Lohnbuchhalter weisen ihre Mandanten regelmäßig auf das Erfordernis eines solchen Statusfeststellungsverfahrens hin.

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