Familienunternehmen im Wandel - Zehn (R)Evolutionsschritte für nachhaltigen Erfolg

Einsame Patriarchen, zum Erfolg verpflichtete Kronprinzen, ein Leben für die Firma: Solche Assoziationen weckt der Begriff „Familienunternehmen“ dank einiger prominenter – realer wie fiktiver – Beispiele nach wie vor in vielen Köpfen. Dass in inhabergeführten Unternehmen eine besondere Gemengelage aus Finanzen und Beziehungen, aus Kalkül und Emotion besteht, ist nicht von der Hand zu weisen. Die private Sphäre beeinflusst das Unternehmen und umgekehrt. Das Unternehmen ist Ressource für die Familie, und die Familie ist Ressource für das Unternehmen. Glücklicherweise sind im Laufe der vergangenen Jahrzehnte mehr und mehr Unternehmerfamilien zu der Erkenntnis gelangt, dass es mehr als einen Weg zu Erfolg und Zusammenhalt gibt. In ihrem zweiteiligen Gastbeitrag zeichnen Dr. Marcel Megerle aus dem Family Office der Frankfurter Bankgesellschaft (Privatbank der Sparkassen Finanzgruppe) und Jürgen Büngeler, Vorstand der Sparkasse Westmünsterland, die Entwicklung der Familienunternehmen in den vergangenen Jahrzehnten nach. In dieser Ausgabe lesen Sie den zweiten Teil.

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1980

DER SECHSTE EVOLUTIONSSCHRITT: DIE START-UP-KULTUR

Die sechste Evolution ist noch mitten im Gang: die sogenannte Start-up-Kultur. Dabei lassen sich mit Blick auf die Familienunternehmen zwei Entwicklungen beobachten: Zum einen investieren viele eta­blierte Familienunternehmen in Bereiche, die für ihr bisheriges Geschäft innovative Ideen mit sich bringen. Die dazugehörigen Start-ups sind damit gewissermaßen „ausgelagerte Entwicklungsabteilungen“. Strategische Konzepte werden nach erfolgreichem Test im Markt in das Erwerber-Unternehmen implementiert. Der Vorteil liegt darin, dass die Start-up-Unternehmen ihren Ideen freien Lauf lassen können. Und zwar, ohne dass das Stammunternehmen das finanzielle Risiko trägt und ohne sich in ein bestehendes Unternehmen einordnen zu müssen. Für besonders vielversprechend ist zudem der Ansatz, dass besonders kreative Junioren aus Familienunternehmen zunächst in ein eigenes Start-up investieren oder gar gründen – und zwar durchaus mit der Absicht, später in die Nachfolgerolle des eigenen Familienunternehmens hineinzuwachsen.

1980

DER SIEBTE EVOLUTIONSSCHRITT: GEMEINSAM STATT EINSAM

Hintergrund der siebten Evolution ist die Erkenntnis, dass Familienunternehmerinnen und Familienunternehmer oftmals einsam an der Spitze stehen. Geschäftliche Sorgen müssen sie mit sich allein austragen. Die Familie wollen sie damit nicht belasten. Mitarbeitende des Unternehmens scheiden als Gesprächspartner aus. Gespräche mit den „lieben“ Unternehmerkollegen scheiden vielfach ebenfalls aus, getreu dem Motto: „Nur keine Schwäche zeigen“. Mit wem also kann ein Meinungsaustausch stattfinden? Vor diesem Hintergrund kann ein (freiwilliger) Beirat oder ein Aufsichtsrat erhebliche Hilfestellungen leisten (übrigens ein weiterer Vorteil des dreistufigen Unternehmensaufbaus). Auch der Einfluss der Familie kann dann beispielsweise indirekt über den Beirat gelöst werden. Dabei ist die Gestaltung des Gremiums entscheidend. Von einer beratenden bis hin zu einer mitentscheidenden Rolle ist vieles möglich. Für die Besetzung eines solchen Gremiums empfehlen sich Persönlichkeiten, die entweder ebenfalls ein Unternehmen leiten oder die aufgrund anderer Tätigkeiten relevante Erfahrungen und Kompetenzen einbringen.

1990

DER ACHTE EVOLUTIONSSCHRITT: DIE FAMILIEN-CHARTA

Die achte Evolution steht noch am Anfang: die sogenannte Familien-Charta. Sie soll einen Beitrag zur Streitvermeidung und bei der Zusammenführung von immer größer werdenden Familien-Stämmen leisten. Streit- und Konfliktpotenziale verursachen in Familienunternehmen Zukunftsblockaden mit ungewissem Ausgang. Im Gegensatz zum Gesellschaftsvertrag ist eine Familien-Charta eine nicht juristisch, aber emotional bindende Absichtserklärung der Gesellschafter. In einer solchen Charta bringen die Gesellschafter den grundsätzlichen Wunsch nach einem gemeinsamen Werte- und Verhaltenskodex zum Ausdruck und erarbeiten eine gemeinsame Familien-Strategie. Die Charta schafft damit eine Rollen- und Wertestruktur der Familie im Verhältnis zu ihrem Unternehmen und dem vorhandenen Vermögen. Sie wirkt als Pendel zwischen Familie und Betrieb und unterstützt die Interpretation des Gesellschaftsvertrages, falls es unter den Gesellschaftern zu unterschiedlichen Meinungen kommt. Eine Familien-Charta, die im Rahmen einer Familien-Strategie erarbeitet wird, schafft einen Erfolgsfaktor, den wir als „Enkelfähigkeit“ bezeichnen. Das Unternehmen wird so ausgerichtet, dass es später an die Enkel übergabefähig sowie übergabewillig ist und viele Potenziale für die Zukunft gehoben werden können.

2000

DIE NEUNTE EVOLUTION: WERTE GENERIEREN MEHRWERT

Eine zentrale Alleinstellung von Familienunternehmen ist die Fähigkeit, mit ihren gelebten Werten Werte (Unternehmenswerte und ideelle Werte) zu schaffen und zu erhalten. Dabei geht es um authentische und täglich gelebte Werte, die in Großkonzernen ihresgleichen suchen. Diese Werte wie sie in Familienunternehmen gelebt werden, sind tatsächlich geeignet, den Wert eines Unternehmens maßgeblich zu begründen.
Während die Wertebasis in Publikumsgesellschaften oft „künstlich“ erfunden werden muss – zum Beispiel in Gestalt einer Corporate Identity –, stehen Unternehmenswerte und der Unternehmenswert in Familienunternehmen in einem engen Zusammenhang. Sie sind für den kontinuierlichen und konsequenten Erfolg wesentlich mitverantwortlich.
Werte sind damit für Familienunternehmen eine einzigartige Ressource. Gelebte Werte wie Unabhängigkeit, Maß halten, Verantwortung gegenüber den eigenen Mitarbeitenden, der Region, gegenüber Geschäftspartnern oder Umwelt zu übernehmen – um nur einige zu nennen –, können Konkurrenten nicht so ohne weiteres kopieren, denn bei den meisten Familienunternehmen ist dabei die Handschrift der Eigentümer buchstäblich an allen Ecken und Enden erkennbar. Kurz gesagt: Familienunternehmen halten mit ihren Werten einen Schatz in Händen. Allerdings nutzen sie ihn oftmals leider nur unzureichend und nur in vergleichsweise wenigen Fällen strategisch.

2020

DER ZEHNTE EVOLUTIONSSCHRITT: TIEFERER SINN, HÖHERE ZIELE, GRÖßERE ORIENTIERUNG

Die Gründe für den Erfolg der Familienunternehmen sind vielfältig. Über die aufgezeigten Entwicklungsschritte und Besonderheiten hinaus zeichnen sich Familienunternehmen durch ein „Immunitätspotenzial“ gegen Fehlentwicklung aus. Das stärkt ihre Resistenz und schützt vor unternehmerischem Größenwahn und Eitelkeit. Eine überdurchschnittlich hohe Eigenkapitalquote macht Familienunternehmen zudem unabhängiger von Fremdkapital. Und die Tatsache, dass sie mit dem „geliehenen Erbe der nächsten Generation“ wirtschaften, bewahrt sie vor waghalsigen Abenteuern. Familienunternehmer stehen in der Verantwortung, das Familienvermögen an die nächste Generation zu übergeben – Stichwort „Enkelfähigkeit“.

DIE SINN-FRAGE ODER DAS GUTE VORBILD

In der Unternehmensnachfolge ist heute für viele potenzielle Nachfolgerinnen und Nachfolger die Sinnfrage (neudeutsch „Purpose“) entscheidend. Immerhin beläuft sich die durchschnittliche „Amtszeit“ einer Führungsgeneration auf 35 Jahre. Die meisten, die einen solchen Weg gehen wollen, möchten sich natürlich sicher sein, dass sie eine sinnvolle Lebensentscheidung treffen. Sie fragen sich: Beantwortet das Unternehmen mit seiner Kultur und seinem Tun eine oder gar die Sinnfrage? Leisten die Produkte oder Dienstleitungen einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft?
Dass man diese Fragen durchaus positiv beantworten kann, zeigen die vielen erfolgreichen Familienunternehmen in unserer Region. Unser Appell an die Verantwortlichen ist daher klar: Machen Sie den jungen Menschen – Ihren potenziellen Nachfolgern – weiterhin Mut, unternehmerisch zu handeln! Seien Sie ein gutes Vorbild! Zeigen Sie, wie faszinierend und erfüllend es sein kann, Unternehmerin oder Unternehmer zu sein. Deutschland braucht Sie! Lassen Sie uns in diesem Geiste die jungen Menschen an diese tollen Aufgaben der Gestaltung und des Machens proaktiv heranführen. 

Jürgen Büngeler 
Dr. Marcel Megerle


Die Start-up-Kultur schafft neue Impulse für Familienunternehmen.
Auch für Fammilienunternehmerinnen und -unternehmer wird der Austausch immer wichtiger. 
Eine Familiencharta kann als Bindeglied zwischen verschiedenen Familienteilen im Unternehmen dienen.
Jürgen Büngeler, Vorstand Sparkasse Westmünsterland
Dr. Marcel Megerle, Family Office der Frankfurter Bankgesellschaft
Werte, zum Beispiel Verantwortung gegenüber der Umwelt, spielen in Familienunternehmen eine große Rolle. 

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