Grundsätze der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich vorgesehene und wichtigste Beweismittel, um die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers darzulegen. Um diesen Beweiswert zu erschüttern, braucht es triftige Gründe. Dazu muss der Arbeitgeber Umstände, die zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers Anlass geben, darlegen und beweisen. Laut Sozialgesetzbuch kann in solchen Fällen zunächst der Medizinische Dienst der gesetzlichen Krankenversicherung eingeschaltet werden. Dieser kann unverzüglich einen Untersuchungstermin anordnen, um eine Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu begutachten. Möglicherweise lassen sich aber Krankheitsursachen in einem solchen Begutachtungstermin nicht abschließend klären oder es bestehen aus anderen Gründen weiterhin ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit. Unter diesen Bedingungen können es die Gesamtumstände erfordern, dass der Arbeitnehmer neben der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung weitere Beweise für seine Arbeitsunfähigkeit liefern muss.
Der Fall
In dem vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern entschiedenen Fall (7. Mai 2024 – 5 Sa 98/23) hat ein Mitarbeiter eines Wurst- und Schinkenprodukte-Herstellers sein Arbeitsverhältnis am 12. Dezember 2022 fristgerecht ordentlich zum 15. Januar 2023 gekündigt. Am 13. Dezember 2022 suchte er einen praktischen Arzt auf. Dieser bescheinigte ihm zunächst eine Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich zum 6. Januar 2023 und verschrieb entsprechende Medikamente. Anschließend stellte der Arzt eine Folgebescheinigung bis zum 16. Januar 2023 aus – dem Tag, an dem der Arbeitnehmer eine neue Beschäftigung im Lebensmitteleinzelhandel bei einem anderen Arbeitgeber anfing.
Der Arbeitnehmer klagte die Entgeltfortzahlung für den Monat Dezember 2022 ein. Der frühere Arbeitgeber bestritt, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig gewesen sei. Er argumentierte: Die Arbeitsunfähigkeit korrespondiere „passgenau“ mit dem Zeitraum der Kündigungsfrist. Insoweit sei der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Zum Zeitpunkt der Übergabe des Kündigungsschreibens des Arbeitnehmers am 12. Dezember 2022 habe es bei diesem noch keinerlei Anzeichen für eine Erkrankung gegeben.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Begründung: Der Kläger habe die Diagnosen offengelegt und der behandelnde Arzt sei zu einer fachlichen Einschätzung gekommen, dass eine behandlungsbedürftige Krankheit vorliege. Die fachliche Richtigkeit der Einschätzung des Arztes sei vom Gericht nicht überprüfbar.
Das Urteil
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern beurteilte die Angelegenheit jedoch anders. Es stellte klar: Der Arbeitnehmer hatte ab dem 12. Dezember 2022 keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Das Gericht argumentierte wie folgt: Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist regelmäßig erschüttert, wenn ein Arbeitnehmer zeitgleich mit seiner Kündigung eine Bescheinigung einreicht, die passgenau die noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt. Weil die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit sowie Beginn und Ende der Kündigungsfrist zusammenfallen, bestehen ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit. Dies gilt in gleicher Weise bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber. Ob Arbeitnehmer für die Dauer der Kündigungsfrist eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorlegen, ist dabei unerheblich.
Angesichts eines erschütterten Beweiswerts ist es Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Dazu ist ein substantiierter, also begründender Vortrag des Arbeitnehmers erforderlich: Aufzuzeigen ist, welche Krankheiten oder gesundheitlichen Einschränkungen vorgelegen haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente der Arzt verordnet hat. Der Arbeitnehmer muss schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben – bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum. Der Arbeitnehmer hatte im konkreten Fall zwar seine Vorerkrankungen geschildert. Diese stimmten jedoch mit der umstrittenen Diagnose des Arztes zum Teil nicht überein. Darüber hinaus hatte ihm der Arzt Medikamente verschrieben, die der Arbeitnehmer sich nicht besorgte. Auch dies sprach gegen seine Arbeitsunfähigkeit.
Fazit
Wenn der Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers anzweifelt, sollte er seinen Verdacht mit gesammelten Fakten stützen. Dazu lässt sich auch der Medizinische Dienst der gesetzlichen Krankenversicherung einschalten. Dieser kann eine Arbeitsunfähigkeit begutachten. Hilfreich ist zudem, wenn man von einer neuen Beschäftigung des Arbeitnehmers erfährt, die dieser direkt am Anschluss an seine Krankschreibung aufnimmt. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung enthält jedoch keine Diagnose. Auch ist der Arbeitnehmer zunächst nicht verpflichtet, diese offenzulegen. Der Arzt unterliegt einer Schweigepflicht, von der er durch den Arbeitnehmer entbunden werden muss.