Kostenfallen | „In neun von zehn Fällen ist es fünf nach zwölf“

Langjährige Lieferantenverträge, die nicht nachverhandelt werden, überteuerte Maschinen oder ein nachlässig geführtes internes Rechnungswesen mit unzureichender Kostenrechnung und Kalkulation – Dinge wie diese sind Stefan Meyer ein Dorn im Auge. Der Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht und Managing Partner der international tätigen Sanierungs- und Restrukturierungsgesellschaft Pluta, die unter anderem Standorte in Münster und Osnabrück hat, erklärt im Interview, wo Kostenfallen in Unternehmen lauern und wie es besser geht.

Stefan Meyer, Pluta | Quelle: Pluta

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Herr Meyer, wenn man genauer hinschaut, wird man sicher bei jedem Unternehmen Einsparpotenziale finden. Was sagt Ihre Erfahrung: Wie groß ist der Nachholbedarf bei Unternehmen in Sachen Kostenoptimierung?
Nichts ist so gut, als dass es nicht noch besser ginge! Die Einsparpotenziale sind sicherlich unterschiedlicher Größenordnung, je nachdem, wie das Unternehmen aufgestellt ist. Unabhängig von der Branche ist entscheidend, wie professionell ein Betrieb sein internes Rechnungswesen im Griff hat. Das heißt: Ein Unternehmen muss wissen, welche Kosten wo anfallen – ansonsten lässt sich gar nicht herausfinden, wo es überhaupt Einsparpotenziale gibt. Das hört sich profan an, aber leider ist das keine Selbstverständlichkeit. Vor allem Unternehmen, denen es in den vergangenen Jahrzehnten gut gegangen ist, haben es vielfach vernachlässigt, genau hinzuschauen, wofür sie Geld ausgeben. Auch Planungen für die Zukunft fehlen mitunter vollständig.

Sind die Unternehmen zu naiv?
Ja, vielleicht. Aber es entspricht dem natürlichen Verhaltensmuster des Menschen, dass man Dinge nicht großartig hinterfragt, die immer gut gelaufen sind. Schließlich gab es bislang keinen Anlass dafür. Erst in dem Moment, wenn man Gegenwind spürt, wird es akut. Das hat man bei vielen Unternehmen in den vergangenen Monaten angesichts der massiven konjunkturellen Störungen, zum Beispiel durch die Corona-Pandemie, erhebliche Lieferkettenprobleme, sprungartig gestiegene Rohstoff- und Energiepreise und nicht zuletzt durch den schrecklichen Angriffskrieg auf die Ukraine, gesehen. Umsätze fielen von jetzt auf gleich in erheblichem Umfang aus und durch Lieferkettenstörungen konnte nicht wie gewohnt produziert werden. Selbst Unternehmen, denen es bislang sehr gut ging, sind dadurch teilweise in große Schwierigkeiten gekommen. Jetzt müssen auch diese Betriebe lernen, ganz genau auf ihre Finanzen zu schauen und sind gut beraten, geeignete Planungs- und Controllingwerkzeuge einzuführen, soweit nicht vorhanden.

Was sind denn aus Ihrer Sicht die Haupt-Kostenfresser?
Pauschal lässt sich das nicht beantworten, da dieser Faktor immer auch von der Branche abhängt, in der ein Unternehmen tätig ist, und sehr einzelfallbezogen ist. Aber häufig sind die Personalkosten der größte Kostenblock in einem Unternehmen. Je dienstleistungsstärker ein Unternehmen ist, desto höher ist auch die Personalkostenquote. Je höher die Wertschöpfungstiefe im produzierenden Bereich eines Betriebes ist, desto bedeutender ist auch die Personalkostenquote. In Restrukturierungsfällen sind die Personalkosten immer ein beliebter Ansatzpunkt. Aber Einsparungen in Form von Personalabbau als Allheilmittel zu sehen, ist aus meiner Sicht zu kurzgesprungen. 

Mitunter geht dann ja auch wichtiges Know-how flöten.
Genau. Es ist eine der größten Herausforderungen für einen Unternehmer, zu erkennen, in welcher Situation er es sich leisten kann, Personal vorzuhalten, obwohl er es im Moment gar nicht auslasten kann – wohlwissend, dass er es übermorgen gegebenenfalls wieder benötigt. Und da kommen wir auch wieder auf die überragende Bedeutung des internen Rechnungswesens und eine solide, belastbare Planung zu sprechen. In einem Unternehmen, das in der Vergangenheit aus dem Vollen geschöpft hat, mithin nicht genau weiß, wofür es Geld ausgibt, finden Sie in der Regel auch keine vernünftige Unternehmensplanung für die Zukunft. Wer keine Ahnung hat, wie es um die Ertragssituation und Liquidität in der Zukunft bestellt ist, hat auch keine verlässliche Grundlage, auf der der Personaleinsatz für die kommenden Monate und Jahre geplant werden kann.

Und abseits der Personalkosten?
Aufgrund der aktuellen Lage ist man geneigt, die hohen Energie- und Materialkosten als besondere Herausforderung mit Blick auf die Kosten zu definieren. Das ist in der gegenwärtigen Situation auch unzweifelhaft so bei energieintensiven Branchen und Unternehmen mit hohem Materialeinsatz, aber ich gehe davon aus, dass diese Situation 2024, spätestens 2025 beendet ist, sodass das für mich „nur“ temporäre Kostentreiber und Sondereffekte sind. Oft ist es ein Flickenteppich an Gründen, die dazu führen, dass Kosten aus dem Ruder laufen. Das können zum Beispiel Produktionsmaschinen sein, die aus dem Kontokorrent gekauft wurden, ohne sie solide langfristig zu finanzieren oder zum Beispiel zu leasen – nicht selten auch ohne, dass man vorher Preise verglichen hat. 

Müssen Unternehmerinnen und Unternehmer da sensibler sein?
Ja, unbedingt! Jeder Euro, der nicht ausgegeben wird, muss nicht erlöst werden! Ich höre nicht selten, dass ein Unternehmen schon eine jahrzehntelange Geschäftspartnerschaft zu einem Hersteller pflegt. Wenn eine defekte Maschine ausgetauscht werden muss, wird vielfach „auf dem kurzen Dienstweg“ eine neue Anlage geplant und bestellt, die dann auch zeitnah aufgebaut wird. Das ist natürlich bequem und spart Zeit, weil das seit Ewigkeiten eingespielte Prozesse sind. Es ist aber nicht immer die beste und günstigste Variante. Andere Hersteller wären vielleicht preislich interessanter. Eine Ausschreibung und ein Preisvergleich am Markt lohnen sich immer und zahlen sich in der Auftragsverhandlung aus.

Welche Fragen sollte man sich mit Blick auf die Zahlen stellen?
Zum Beispiel: Warum haben wir für diesen Rohstoff nur einen Lieferanten? Warum haben wir seit fünf Jahren nicht mehr über Preise mit diesem langjährigen Geschäftspartner verhandelt? Es sind in der Regel ganz einfache Dinge, die hinterfragt werden müssen. Das ist alles keine Hexerei und Raketentechnik! Logisches Hinterfragen von Geschäftsprozessen unter Ablegung von Scheuklappen reicht aus. 

Wie häufig sollten Unternehmen denn ihre Betriebskosten mit Blick auf Einsparpotenziale unter die Lupe nehmen?
Im Idealfall ergibt sich das aus dem regelmäßigen – mindestens monatlichen – Controlling im internen Rechnungswesen. Spätestens nach zehn Werktagen sollten verlässliche Zahlen über den Geschäftsverlauf im Vormonat vorliegen. Aber selbst dann besteht immer noch die Gefahr, dass man aus gewisser Betriebsblindheit Dinge übersieht – oder eben nicht hinterfragt, weil es bisher ja immer gut gelaufen ist. Auch vermeintlich gute Zahlen können blenden. Demnach sind regelmäßige Besprechungen der monatlichen betriebswirtschaftlichen Auswertungen – ich würde sagen mindestens einmal im Quartal – mit Unternehmensexternen wie Beratern, Steuerberatern, Aufsichts- oder Beiräten etc. sinnvoll.

Inwiefern können gute Zahlen blenden?
Nicht jeder Umsatz ist ein guter Umsatz. Es bringt ein Unternehmen auf Dauer nicht weiter, umsatzversprechende Aufträge nur des Umsatz willens mitzunehmen, an denen aber keine gescheite Marge verdient werden kann. Entscheidend ist unterm Strich nur das Ergebnis, auch wenn das bedeutet, weniger Umsatz zu machen. Im Zweifel gilt weniger Umsatz zu machen, wenn dadurch das Ergebnis verbessert werden kann. Das kann auch die Liquidität schonen. 

Wann wird es alarmierend?
Wenn die Zahlen Monat für Monat von den hoffentlich vorliegenden Unternehmensplanungen abweichen, dann läuft etwas aus dem Ruder! Leider ist es in kleinen- und mittelständischen Unternehmen immer noch zu häufig der Fall, dass man es mit dem internen Rechnungswesen und der Buchhaltung nicht ganz so genau nimmt – Sie merken, das ist mein Lieblingsthema (lacht). Anstatt sich mit dem – durchaus lästigen – Papierkram zu beschäftigen oder einen Steuerberater zu beauftragen, wird lieber der nächste Auftrag vorbereitet. Der einzige Grund, warum dann doch die Buchhaltung gemacht wird, ist die Abgabefrist der in der Regel monatlichen Umsatzsteuervoranmeldung oder die monatliche Lohnsteuermeldung. Wer aber lediglich pflichtschuldig die Zahlen zum Finanzamt trägt, sich aber mit seinen laufenden Finanzen nicht eingehender auseinandersetzt, hat auch keinen Überblick und kann keine guten und richtigen Entscheidungen für die Zukunft treffen, weil dafür die objektive Grundlage fehlt.

Was sollte man tun, wenn man selbst für diese Dinge keine Zeit hat – oder es einem einfach nicht liegt?
Meine Empfehlung ist, sich in einem solchen Fall zum frühestmöglichen Zeitpunkt externe Unterstützung zu holen. Das muss nicht gleich ein Beratungsauftrag über mehrere Tausend Euro oder gar mehrere Zehntausend Euro sein, aber man sollte sich an jemanden wenden, der Erfahrung in diesem Bereich hat und eine Kurzanalyse bezüglich der Schwachstellen mit unverstelltem Blick vornehmen kann. In neun von zehn Fällen, die wir betreuen, ist es nicht fünf vor zwölf, sondern bereits fünf nach zwölf, weil einfach fast immer zu lange zugewartet wird, bis externe Hilfe in Anspruch genommen wird. Wenn man feststellt, dass sich das Geschäft in die falsche Richtung entwickelt, sollte man sich also nicht wochen- oder gar monatelang selbst etwas vormachen und darauf hoffen, dass es schon irgendwie besser werden wird. Das nennt man auch „Prinzip Hoffnung“, was selten zu unternehmerischem Erfolg führt. Frühzeitig externe Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist keine Schwäche einer Unternehmerin oder eines Unternehmers, sondern aus meiner Sicht unzweifelhaft eine Stärke.

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