Gründen | „Nicht blauäugig losmarschieren“

Borken - Endlich den alten Job kündigen, die eigene Idee verwirklichen und damit auch noch Geld verdienen? Viele Gründerinnen und Gründer sind von diesem Gedanken getrieben. Doch der Weg in die Selbstständigkeit ist oft komplex, gerade zum Start fehlt häufig ein klarer Plan. Wer nachhaltig gründen will, sucht deshalb Rat und Unterstützung bei lokalen Experten. Wirtschaftsförderungsgesellschaften gehören dazu, aber auch spezialisierte Berater oder lokale und überregionale Gründernetzwerke.

Heike Dorenz. Foto: privat

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Heike Dorenz steht für eine dieser Anlaufstellen. Sie ist Geschäftsführerin des Grafschafter TechnologieZentrums in Nordhorn (GTZ), das vor allem technologieorientierte Unternehmen in der Gründung begleitet. Dorenz beschreibt eine Herausforderung, die zu einem ganz frühen Zeitpunkt bewältigt werden müsse: „Der erste Schritt passiert immer im Kopf des Gründers. Die Entscheidung für die Selbstständigkeit verlangt das Aufgeben von Sicherheit.“ Damit beginne alles. Der Prozess, der auf diese erste Hürde folge, bestehe aus viel Detailarbeit, der Suche nach Struktur und nach klaren Wegen.  

Genau für diesen Prozess fehlt es vielen Gründungsideen zum Start noch an Kontur. Orientierung ist also gefragt, bestätigt Nathalie Reichel, Gründungsberaterin bei der wfc Wirtschaftsförderung Kreis Coesfeld. „Meistens geht es in den ersten Gesprächen um die Frage, welches konkrete Angebot ich als Gründer meinen Kunden machen möchte und welchen Mehrwert das für diese Kunden überhaupt hat.“ Über diese wichtige Frage werde noch immer zu wenig nachgedacht. Reichel: „Dabei geht es auch um das sogenannte Alleinstellungsmerkmal, das sowohl im Produkt oder der Dienstleistung liegen kann als auch in der Person des Gründers selbst.“  

Meistens sei sie es, die erst einmal auf die Bremse trete, sagt Reichel. Ganz grundsätzliche Fragen wie beispielsweise nach dem notwendigen Einkommen müssten geklärt werden. „Wie viel brauche ich selbst, um leben zu können?“, laute die Frage. „Da will ich nicht die Euphorie wegnehmen, aber einen Realitätscheck machen.“ Zudem gelte: Die beste Idee sei wenig tragfähig, wenn Gründerin oder Gründer nicht zur Idee passen. Den potenziellen Unternehmern rät sie daher, sich frühzeitig Gedanken über Kunden, Produkt und Markt zu machen. 

Dass Idee und Persönlichkeit zusammengehören, formuliert auch Martin Niemann. „Als Vegetarier ein Fleischfachgeschäft betreiben? Das wird schwierig“, sagt er bewusst plakativ. Niemann ist Leiter des Gründerhauses Osnabrücker Land, das unter dem Dach der WIGOS Wirtschaftsförderungsgesellschaft Osnabrücker Land angesiedelt ist. Über Persönlichkeiten hat Niemann viel zu sagen. „Niemand macht etwas ohne Motiv. Wenn das nicht zur Idee oder zum Gründer passt, muss man genauer hinschauen.“  
Auch Unsicherheit spiele beim Sprung in die Selbstständigkeit eine Rolle. Sie entstehe aus einem Gefühl der Angst, weiß Niemann. „Diese Angst spürt jeder, der etwas verändern möchte. Da kann ich hundertmal sagen ‚Spring!‘, wenn der Kopf blockiert.“ Diese Blockade zu lösen, sei eine der Herausforderungen in der Gründungsphase. 

Letztlich gehe es viel um Persönlichkeit, sagt auch Reichel. Das beste Produkt, die beste Dienstleistung sei nichts wert, wenn es dem Gründer am Ende nicht gelinge, die Kunden anzusprechen und abzuholen. Aufgabe der Gründungsberatung sei es dann, einer oft noch ungeschliffenen Idee eine Form zu geben, die tragfähig ist. Oder auch mal ein Stoppschild zu setzen, wenn Vision und Wirklichkeit nicht deckungsgleich sind. „Allerdings haben wir Gewerbefreiheit in fast allen Bereichen. Ich bin in meinen Gesprächen ehrlich und sage, wenn ich etwas für den falschen Weg halte. Ob Gründer solche Hinweise dann annehmen, ist eine andere Frage“, schränkt Reichel ein. 


Allen Herausforderungen zum Trotz ist die Zahl der Gründungswilligen nicht klein. Tobias Ebbing ist Gründungsberater bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft für den Kreis Borken (WFG) und sagt: „Im Jahr 2023 haben wir sicher mehr als 300 Gründungsvorhaben begleitet.“ Die WFG ist eines von rund 70 zertifizierten Startercentern in Nordrhein-Westfalen und berät Existenzgründer auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Bei der WFG wie auch bei anderen kommunalen Wirtschaftsförderern landen naturgemäß viele Bewerber zuerst. Das Angebot der Wirtschaftsförderungsgesellschaften ist kostenlos, die Erstberatung hilft bei der Klärung grundlegender Fragen. Und die Berater verweisen, falls notwendig oder sinnvoll, an Netzwerkpartner weiter. „Das ist eine Hilfe zur Selbsthilfe“, umschreibt Ebbing dieses Angebot. Ein Beispiel: Man schreibe keine Businesspläne für die Gründer. Aber man setze die eigene Erfahrung ein, prüfe die Kennzahlen auf Plausibilität, weise auf Schwachstellen hin.  

Begleitung über Gründung hinaus

Die Beratungsangebote in der Region sind nicht nur für den Start in die Selbstständigkeit gedacht. Sie sollen junge Unternehmen auch in den ersten Jahren begleiten. Heike Dorenz vom GTZ beschreibt, warum das wichtig ist. „Gerade wenn sich ein neues Unternehmen nicht so wie erhofft entwickelt und Zweifel aufkommen, braucht es eine gute Rückkopplung und Gespräche, damit Gründer nicht sofort aufgeben.“ Im GTZ, wo Start-ups für bis zu fünf Jahre auch passende Räumlichkeiten nutzen können, erfolge dies für die eigenen Mieter (derzeit fast 30 Unternehmen), ansonsten übernähmen Kollegen in den kommunalen Wirtschaftsförderungen diese Begleitung. 

Die Bandbreite der Geschäftsmodelle ist grundsätzlich weit gefasst, erfordert aber unterschiedliche Herangehensweisen. Ebbing formuliert das so: „Zu 90 Prozent sprechen wir über bewährte und weniger beratungsintensive Geschäftsmodelle, also Dienstleistungen, freie Berufe, Friseure, Garten- und Landschaftsbau. Für innovative, digitale Start-ups braucht es naturgemäß eine engmaschigere Begleitung.“ Hier gehe es auch darum, über die eigenen Grenzen hinauszuschauen und Gründer an Netzwerkpartner weiterzuvermitteln.  

Beispielhaft für einen dieser Zusammenschlüsse steht das TOPStart-Existenzgründernetzwerk im Landkreis Grafschaft Bentheim. Dort arbeiten zahlreiche Akteure in der Region – von der Industrie- und Handelskammer über Handwerkskammer und die regionalen Wirtschaftsförderungen bis hin zum GTZ – zusammen. Andreas Kremer ist zentraler Ansprechpartner bei TOPStart und sagt: „Wir können durch dieses Netzwerk vor allem unsere Beratungsqualität erhöhen, weil die Palette der Angebote größer ist.“ Für die erste Orientierung sei die Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Landkreises sinnvoll, bei betriebswirtschaftlichen und steuerlichen Themen könnten die eher spezialisierten Kammern helfen. Vereinfacht gesprochen: „Wir schubsen die Gründer zu den richtigen Spezialisten“, sagt Kremer.  

So vielfältig die Herangehensweisen auch sein mögen: Am Ende komme es auf eine zentrale Eigenschaft an, erklärt Martin Niemann vom Gründerhaus Osnabrücker Land. „Selbstständigkeit erfordert den Willen, zu lernen. Über Steuern und Finanzen wissen viele nicht viel, aber um das Thema kommt man nicht herum. Kein Gründer muss jedes Detail kennen, aber die wichtigsten Dinge unbedingt.“ Nathalie Reichel von der wfc ergänzt: „Zum Start sind praktische Erfahrungen noch nicht so relevant, aber die Gründungsphase sollte man nutzen, um sich fehlendes Fachwissen anzueignen.“ Dazu müsse man unbedingt bereit sein. 
Sich selbst gegenüber aufrichtig zu sein, die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten zu kennen: Das ist ein zentraler Punkt, der bei allen Beratungsangeboten hervorgehoben wird. Auch Tobias Ebbing von der WFG sagt: „Uns ist wichtig, dass die Leute wissen, worauf sie sich einlassen. Sie dürfen nicht blauäugig losmarschieren, sondern müssen die Rahmenbedingungen kennen.“  
So formuliert es auch Reichel. Ihr Rat an Gründer: „Lassen Sie sich Zeit.“ Intensive Beratung verhindere, dass man in Fettnäpfchen tritt. „Man sollte wissen, was man tut, bevor man es tut.“  

Carsten Schulte

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