Landkreis Grafschaft Bentheim

Neujahrsempfang: „Wir müssen die Unternehmen einfach mal mehr machen lassen“

Nordhorn – Sein Wunsch an die Politik war deutlich formuliert: „Wir müssen die Unternehmen einfach mal mehr machen lassen.“ Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank und Vorsitzender des Beirats für Wirtschaftsfragen im Verband Öffentlicher Banken, hatte beim Neujahrsempfang der Wirtschaftsvereinigung Grafschaft Bentheim aber nicht nur eine klare Vorstellungen davon, was die Wirtschaft in Deutschland angesichts der schwachen konjunkturellen Lage und der weltpolitischen Entwicklungen wieder ankurbeln könnte. Er analysierte vor den rund 400 Gästen im Nino-Hochbau in Nordhorn auch, was die erneute Präsidentschaft von Donald Trump bedeutete und was den Finanzmarkt aktuell bewegt.

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Wo steht Deutschland heute? Antworten darauf suchte Klaas Johannink, Vorstandsvorsitzender der Wirtschaftsvereinigung Grafschaft Bentheim, gemeinsam mit Gastredner Kater sowie den eingeladenen Grafschafter Unternehmensvertreterinnen und -vertretern. „Die Ampel-Regierung ist zerbrochen. Es fehlt zurzeit an klaren Leitplanken seitens der Politik für die Wirtschaft und es gibt einen erheblichen Investitionsstau in Deutschland“, fasste Johannink die aktuelle Lage zusammen. „Es fühlt sich so an, als ob wir momentan auf einer schlecht ausgebauten Kreisstraße fahren. Eine Autobahn wäre mir lieber.“ Die Schuldenbremse sei aus seiner Sicht zwar grundsätzlich eine gute Idee, aber: „So wie sie jetzt gilt, ist sie schlecht konstruiert. Wir haben enorme infrastrukturelle Investitionen vor der Brust, deutsche Unternehmen müssen auf dem globalen Markt wieder wettbewerbsfähig werden.“

Priorität: Bildung

Zwar gehe es dem Großteil der Unternehmen in der mittelständisch geprägten Grafschaft Bentheim gut, aber die Krise sei hier und da zu spüren, die – wenn auch niedrige – Arbeitslosenquote steige langsam an. Die Zahl der offenen Stelle nehme ab und der finanzielle Spielraum für Kommune werden immer enger. „Da ist etwas im Busch“, warnte der Vorstandsvorsitzende. Johannink forderte daher klare Prioritäten bei den Ausgaben. Zum Beispiel im Bereich Bildung: Deutsche Sprachkenntnisse bereits in der Grundschule zu festigen und später dann die Jugendlichen bei der Berufsorientierung zu unterstützen, waren zwei seiner Ansätze. „Insbesondere in den technischen Berufen benötigen wir als Industrieland Nachwuchskräfte“, betonte Johannink. Er verwies dabei auf den Campus Berufliche Bildung (CBB), der aktuell als Gemeinschaftsprojekt mehrerer Institutionen – darunter auch der Landkreis Grafschaft Bentheim, die Wirtschaftsvereinigung Grafschaft Bentheim und die Kreishandwerkerschaft Grafschaft Bentheim – entsteht und als Lern- und Orientierungszentrum für Schülerinnen und Schüler dienen soll.

Der Fachkräftemangel ist dabei nur eines von vielen Themen, die die Wirtschaft zurzeit beschäftigen. Einen Blick auf die Herausforderungen für Unternehmen durch die aktuellen Entwicklungen in den USA gab Gastredner sowie Experte für Geld-, Währungs- und Finanzpolitik Kater in seinem Vortrag. Er attestierte dem designierten US-Präsidenten Donald Trump einen Politikstil mit „wahnwitzigem Tempo, direkten und plumpen Ankündigungen“, der Analysen und Vorhersagen erschwere. Ziel seiner Politik sei es, für die USA aus wirtschaftlicher Sicht so viel wie möglich herauszuholen – durch mehr Bewegungsfreiheit für die US-amerikanischen Unternehmen und gleichzeitig enge Korridore für die Konkurrenz aus Europa.

Trumps Rolle

In den meisten Industrieländern seien die etablierten Regierungen von den Wählerinnen und Wählern abgestraft worden. „Inflation, sinkender Lebensstandard und nicht ausreichende Dienstleistungen haben dazu geführt, dass der Staat als immer inkompetenter wahrgenommen wird. Von dieser Ansicht profitiert der Populismus“, warnte Kater. Und damit auch Akteure wie Trump. „Der derzeitige Wandel macht Angst, das Erreichte zu verlieren – genau diese Angst nutzt Trump aus“, so der Ökonom.

Angst etwa vor der Inflation. Für Kater herrsche dabei aber ein Missverständnis in der Gesellschaft: „Inflation bedeutet die Veränderung der Preise, nicht des Preisniveaus. Wir verbinden mit dem Rückgang der Inflationsquote die Erwartung, dass die Preise wieder auf Vor-Corona-Niveau zurückgehen. Aber das wird nicht passieren“, machte der Chefvolkswirt der DekaBank klar. Eine Inflationsrate, die bei rund zwei Prozent liege, sei die „normale Körpertemperatur“. Für den Ausgleich höherer Preise müssten aus seiner Sicht dann entsprechend steigende Einkommen sorgen. „Man wird sich wieder an die höheren Preise gewöhnen, das braucht einfach Zeit“, betonte Kater, der von 1995 bis 1999 im Stab der „fünf Wirtschaftsweisen“ für die Themen Geldpolitik und Kapitalmarkt verantwortlich war.

Angstquelle: die Veränderung von Arbeitsplätzen

Eine weitere Angstquelle: die Veränderung von Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung. Die deutschen Unternehmen müssten vor diesem Hintergrund neue Wertschöpfungsideen entwickeln und einen Strukturwandel vollziehen, etwa in der Automobilindustrie. „Auf uns kommen viele Veränderungen zu, die den bisherigen hohen Wohlstand gefährden. Das macht den Menschen Angst – eine ganz normale Reaktion“, ordnete Kater ein. Sich verrückt zu machen, helfe da aber wenig. Vielmehr appellierte der Ökonom an die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft, die dafür aber auch entsprechende wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen brauche. „Wir sollten die Unternehmen einfach mal mehr machen lassen. Angesichts der hohen Qualität unseres Unternehmertums bin ich davon überzeugt, dass daraus etwas Gutes werden wird“, richtete er sich an die Politik.

Handlungsbedarf sah der Ökonom auch in Sachen Vermögensaufbau und Anlagestrategie. „Zinslos angelegtes Geld wird zum Problem, da es an Wert verliert. Daher sollte Vermögen immer inflationssicher angelegt sein“, betonte Kater und verwies dabei auf den Aktienmarkt. „Die Dax liegt bei plus 40 Prozent in den vergangenen vier Jahren. Das ist keine Blase, sondern eine richtig gute Performance.“

Finanzmarktblase Bitcoin

Zu einer echten „Finanzmarktblase mit Liebhabercharakter“ könnte sich aus seiner Sicht aber die Währung Bitcoin entwickeln. Zwar sei die Kryptowährung 2024 das erfolgreichste Anlagegut gewesen, doch: „Die Währung fasziniert Menschen, weil sie das staatlich organisierte Geldwesen zur Seite schiebt. Der praktische Nutzen von Bitcoin ist allerdings begrenzt, nur wenige Menschen tätigen damit echte Zahlungen. Man weiß nicht, wie lange die Begeisterung dafür noch anhält“, betonte er.

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