Kreis Coesfeld

Azubis gewinnen: So gelingt es!

Kreis Coesfeld - Azubis zu gewinnen und dauerhaft zu halten, ist aktuell für viele Unternehmen eine große Herausforderung. Die Initiative #einfach machen hat deshalb 30 Unternehmen aus den Kreisen Coesfeld und Borken ausgezeichnet, die mit ihren Ideen zeigen, wie es doch gelingen kann. Mit ihren Best Practices sollen sie anderen Unternehmen Anregungen geben, eigene Konzepte zu entwickeln. Denn mit steigendem Fachkräftemangel sind Azubis für den Unternehmenserfolg wichtiger denn je.

Endlich das Wissen in die Praxis umsetzen: Studienabbrecher wie Dario Gawlik sind für das Unternehmen Franz Ziel eine wichtige Zielgruppe. Foto: Franz Ziel GmbH

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Partner der Initiative #einfach machen sind neben der wfc Wirtschaftsförderung Kreis Coesfeld und der WFG für den Kreis Borken die Agentur für Arbeit Coesfeld und die Regionalagentur Münsterland. „Zukunftsfaktor Ausbildung“ ist die mittlerweile vierte #einfach machen-Runde. Dementsprechend hat die Initiative bereits mehr als 100 Best-Practice-Beispiele zu verschiedenen Themen der Personalarbeit ausgezeichnet und gibt darüber hinaus einen Überblick über passende Förderprogramme und Unterstützungsmöglichkeiten.
Die ausgezeichneten Unternehmen aus dem Kreis Coesfeld in der aktuellen Runde sind Hupfer Metallwerke, LVM-Versicherungsbüro Falke, HK Consulting, Raumausstatter Werner Hegemann, SG Service Zentral, Sparkasse Westmünsterland, LetterServiceAgentur, Krampe Landtechnik und Metallbau, Radwelt Coesfeld, Elektrotechnik Gövert, Wecon, Resing Lackier- und Karosserie-Zentrum, Finiglas Veredelungs GmbH, Annengarten Seniorenwohnanlage Buldern, M2Bau, Franz Ziel und Kloster Gerleve.
Hier einige Beispiele von Unternehmen aus dem Kreis Coesfeld:

Von Kamerun nach Ascheberg, Wecon
Zwei bis drei Azubis ziehen jährlich für ihre Ausbildung bei Wecon von Kamerun nach Ascheberg – und bleiben in der Regel auch danach im Unternehmen. Seit 2016, dem Start der Kooperation mit dem Studienkolleg Etall in Yaoundé, waren es insgesamt 13. Und die Zahl steigt weiter. Denn: „Mit der Zeit kommen auch immer mehr Familienangehörige und Freunde derjenigen zu uns, die bereits in Deutschland leben und arbeiten, und nicht direkt an unserer Partnerschule lernen“, erklärt Hendrik Hemker, Geschäftsführender Gesellschafter des Herstellers von Wechselanhängern und -aufbauten für den kombinierten Verkehr. „Drei zusätzliche Auszubildende haben wir bereits über diesen Weg gefunden und für das kommende Jahr schon fünf weitere Auszubildende im Fokus.“

Die notwendigen Strukturen für die Zusammenarbeit mit dem Studienkolleg und für die mit der Einreise verbundene Bürokratie hat Wecon mittlerweile ausgebaut. „Die Schule bekommt von uns ein Kontingent an Ausbildungsplätzen, auf die sich die Schülerinnen und Schüler bewerben können, und trifft eine Vorauswahl potenzieller Kandidaten. Mit diesen führen wir dann Online-Vorstellungsgespräche und bewerten in erster Linie anhand der Deutschkenntnisse und der zu erkennenden Motivation, ob die Bewerber zu uns und zum gewünschten Ausbildungsberuf passen“, erklärt Hemker.

Für eine Einreise nach Deutschland, um eine Ausbildung aufzunehmen, ist das Sprachniveau B1 die gesetzliche Mindestanforderung. Für eine bessere Akzeptanz der Auszubildenden bei den Kollegen gibt Wecon jedoch das B2-Niveau vor. „Damit sind auch weitere Sprachkurse nicht zwingend erforderlich, da die Auszubildenden schon einen vergleichsweise großen Wortschatz mitbringen“, erläutert Hemker. Da Wohnraum besonders rund um Münster ein Problem ist, stellt Wecon den Azubis zudem für den Start in Deutschland Zimmer zur Verfügung, sodass sie sich im Laufe des ersten Lehrjahres dann selbst um eine Wohnung kümmern können.

Darüber hinaus ist innerhalb des Unternehmens das Engagement für die Azubis groß. „Alle – von der Geschäftsführung bis zur Werkbank – lassen sich darauf ein. Für die Bürokratie, die mit der Einstellung der Azubis aus Kamerun verbunden ist, benötigt man zusätzliche Kapazitäten. Der Aufwand für einen einzelnen Auszubildenden lohnt sich deshalb aus unserer Sicht kaum. Interessant wird es dann, wenn man auf lange Sicht plant, jährlich mehrere Auszubildende einzustellen“, erklärt Hemker. Innerhalb der Teams werden die Azubis aus Kamerun genau wie alle anderen Azubis vom ersten Tag an als vollwertige Mitglieder gesehen. „Darauf legen wir ebenfalls großen Wert“, betont der Geschäftsführende Gesellschafter.


Neue Zielgruppen: Studienabbrecher, Franz Ziel, Billerbeck
Wenn Studierende merken, dass der Hörsaal oder der häufig anschließende Schreibtischjob nichts für sie ist, dann ist das eine Chance für Industrie- und Handwerksunternehmen: Unter den Studienabbrechern können sie neue Azubis gewinnen – indem sie durch eine gute Karriereseite und Praktikumsangebote auf sich aufmerksam machen. Entsprechend hat sich das Unternehmen Franz Ziel aus Billerbeck aufgestellt.
„Praktika sind mittlerweile unser wichtiges Recruiting-Instrument“, erklärt Andre Homann, zweiter Ausbildungsleiter bei dem Hersteller von Reinraumtechnik. „Alle aktuellen Azubis haben vor der Ausbildung ein Praktikum bei uns absolviert.“ Einer dieser Praktikanten war Dario Gawlick. Erst nach Beginn seines Mathematik-Studiums an der WWU Münster hatte er eine konkretere Vorstellung davon bekommen, was er als Mathematiker in seinem späteren Berufsleben tun würde: am Schreibtisch sitzen. „Das war mir zu langweilig. Ich habe mehr und mehr gemerkt, dass ich größeren Spaß am Schrauben, Basteln und an der Elektronik habe – und dass es für mich sehr erfüllend ist, wenn ich am Ende des Arbeitstages ein sichtbares Ergebnis habe.“

Gawlick informierte sich weiter und fokussierte sich schließlich auf Elektronik als sein Wunscharbeitsgebiet. Er recherchierte nach den Möglichkeiten in der Region und wurde über das Job-Portal der Bundesagentur für Arbeit auf die Ausbildung zum Elektroniker für Automatisierungs- und Systemtechnik bei Franz Ziel aufmerksam. „Die Kombination von Elektrotechnik und Mechanik klang sehr spannend – und nach meiner Anfrage beim Unternehmen begann ich im Frühjahr 2020 ein einwöchiges Praktikum“, erzählt Gawlick. Im August 2020 startete er die Ausbildung.

„Studienabbrecher sind für uns unter anderem eine wichtige Zielgruppe“, erklärt Ausbildungsleiter Homann. Entsprechend ist auch die Karriereseite des Unternehmens angelegt, die die Verzahnung von Theorie und Praxis in den Vordergrund stellt. „Wir möchten den potenziellen Azubis zeigen, dass das theoretische Wissen aus ihrem Studium bei uns nicht unnütz ist. Sie sollen erkennen, dass sie stattdessen die große Chance haben, die Theorie mit praktischer Arbeit – die ihnen häufig im Studium gefehlt hat – zu verbinden“, erläutert Homann. Die unkomplizierte Möglichkeit, dann in einem kurzen Praktikum auszuprobieren, ob eine Ausbildung tatsächlich die bessere Alternative zum Studium ist, ist das zweite niederschwellige Angebot bei Franz Ziel, um Studienabbrecher von sich zu überzeugen. „Hier bieten wir dann eine klare Orientierung, was eine Ausbildung beinhaltet und welche weiteren Karrieremöglichkeiten es gibt“, erklärt Homann.

Azubis mir Migrationshintergrund, LVM Falke, Senden
Mit Frau und Kindern ist Ali Ali 2015 aus Syrien nach Deutschland geflüchtet. Da er seinen Beruf als Jurist aufgrund der unterschiedlichen Rechtssysteme in Deutschland nicht mehr ausüben konnte, begann er im August 2022 eine Ausbildung zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen beim LVM-Versicherungsbüro Falke in Senden. Der Kontakt kam über den Verein „Haxivbecker Modell“, der im gesamten Kreis Coesfeld arbeitslosen Jugendlichen und Erwachsenen beim Weg in den Beruf hilft, zustande.

Nach dem erfolgreichen Bewerbungsgespräch erhielten beide Seiten für die nächsten Schritte intensive Unterstützung durch die Willkommenslotsin der IHK Nord Westfalen. Über das Jobcenter des Kreises Coesfeld wurde dem 40-Jährigen die Teilnahme am einjährigen Einstiegsqualifizierungsprogramm (EQ) ermöglicht und die Kosten für dieses Jahr übernommen. So konnte Ali Ali in Ruhe im Job ankommen und die Sprache besser lernen, sodass er bei Ausbildungsstart das C1-Niveu erreicht hatte. Für den notwendigen Einstellungstest für die Ausbildung erhielt er über das EQ-Programm zusätzlich Nachhilfe.
Durch seine Sprachkenntnisse bearbeitet Ali Ali nun häufig Schadensfälle von arabischen, kurdischen und türkischen Kunden – ein großer Pluspunkt für das Versicherungsbüro. Denn es erhält so mittlerweile einige überregionale Anfragen.

Umschüler, Elektro Gövert, Dülmen
Ein Azubi muss nicht immer jung sein. Er kann auch schon 37 sein und bereits über eine langjährige Berufserfahrung verfügen. Für ihn ist es die Chance auf einen Neustart. Für seinen Arbeitgeber die Chance auf einen motivierten Azubi, der gerne auch nach der Ausbildung im Betrieb bleiben möchte. So sind Michael C. und der Elektrotechnik-Betrieb Gövert aus Dülmen zusammengekommen.

„Ich war grundsätzlich offen dafür, einen Umschüler als Azubi einzustellen, wollte aber sichergehen, dass die Chemie stimmt und bat ihn um ein kurzes Praktikum“, erinnert sich Inhaber Klaus Gövert. Da der bisherige Arbeitgeber von Michael C. nichts von seinen Wechselplänen wusste, absolvierte er das Praktikum in seinem Osterurlaub. „Damit hatte Michael seine hohe Motivation schon zum ersten Mal deutlich gemacht“, betont Gövert. Am 1. August 2021 startete Michael C. seine Umschulung. „Die anfängliche Skepsis vieler Mitarbeiter, ob sich ein 37-Jähriger denn überhaupt etwas sagen lässt, hat sich sehr schnell in Luft aufgelöst. Er wurde gut in die Kollegen-Gemeinschaft aufgenommen“, erzählt Gövert. Engagement und Leistung seien überdurchschnittlich und höher als bei einigen jungen Azubis.

Dabei ist die Umschulung herausfordernder als eine normale Elektroniker-Ausbildung. Statt 3,5 Jahre Ausbildung dauert die Umschulung lediglich 28 Monate. Das erste Berufsschuljahr entfällt. Die Umschüler steigen direkt im zweiten Berufsschuljahr ein. Statt eines Ausbildungsvertrags schließt das Unternehmen mit dem Umschüler einen Arbeitsvertrag auf Helferniveau sowie einen Umschulungsvertrag ab. Der Umschüler erhält entsprechend das Helfergehalt. Die Differenz zum normalen Ausbildungsgehalt wird von der Agentur für Arbeit übernommen, ebenso wie Lehrgangskosten, überbetriebliche Ausbildungskosten und Fahrtkosten.

Unruhiger Lebenslauf, Lackier- und Karosserie-Zentrum Resing, Coesfeld
„Wir geben jedem eine Chance, egal ob schlechte Schulnoten, Flüchtling, wohnungslos oder unruhiger Lebenslauf. Es ist wichtiger, dass die Bewerberin oder der Bewerber motiviert ist, Lust auf den Job hat und etwas handwerkliches Geschick mitbringt“, erklärt Christopher Schwietzke, Junior-Geschäftsführer des Lackier- und Karosserie-Zentrums Resing in Coesfeld.

Dank dieser Haltung hat Schwietzke bereits einen iranischen Flüchtling als Fahrzeuglackierer-Azubi eingestellt, der mittlerweile seine Ausbildung beendet hat und als Geselle übernommen wurde. Ein weiterer Azubi hat einen sehr problematischen Familienhintergrund und lebt in einer betreuten Jugendeinrichtung. Anfang 2022 vermittelte die Jugendhilfeeinrichtung GleisB zudem einen 18-Jährigen als Helfer für das Lack-Lager. „Da er sich in kürzester Zeit so gut in die Bereiche Farbmischung, Bestellung und Lagerwesen eingearbeitet hat, kann er 2023 eine Ausbildung bei uns beginnen“, erklärt Schwietzke.

Über persönliche Kontakte kam ein weiterer Azubi, der einen längeren Weg der Berufsorientierung hinter sich hat, zum Lackier- und Karosserie-Zentrum. Nach Rücksprache mit der Agentur für Arbeit bot Schwietzke ihm an, eine Einstiegsqualifizierung zu machen, um feststellen, ob die Ausbildung etwas für ihn ist, er zum Unternehmen passt und um ihm bereits erste Kenntnisse zu vermitteln. Es passte. Und an die sechsmonatige Einstiegqualifizierung schloss sich direkt der Ausbildungsstart an.
 
Weitere Best-Practice-Beispiele aus der Region gibt es hier: https://www.personalarbeit-einfachmachen.de/4-ausbildung/

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