Es sei wieder einmal ein Jahr mit Herausforderungen gewesen, „geprägt von vielen verschiedenen Krisen“, betonte Heiber mit Blick auf die anhaltende Rezession sowie den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mit einer steigenden Anzahl an Flüchtlingen. Die konjunkturell schwache Entwicklung komme zunehmend auf dem Arbeitsmarkt an. „Menschen werden arbeitslos, weil Unternehmen ihr Personal anpassen. Außerdem gibt es eine hohe Zahl an geflüchteten Menschen, die Beschäftigung suchen. Trotzdem ist der Fachkräftemangel in einigen Branchen nach wie vor da – und er wird sich durch den demografischen Wandel weiter verschärfen“, erläuterte der Geschäftsführer der Arbeitsagentur.
Nach wie vor Beschäftigungsrekord
In Zahlen ausgedrückt: Im vergangenen Jahr gab es in den Kreisen Borken und Coesfeld insgesamt rund 235.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das sei nach wie vor Beschäftigungsrekord, aber: „Wir haben im Vorjahresvergleich erstmals kein Plus zu verzeichnen. Zwar gibt es insbesondere bei Frauen und ausländischen Beschäftigten einen Zuwachs, aber es kommen zu wenig Nachwuchskräfte nach“, erläuterte Heiber. So rückten insbesondere zu wenig Menschen aus der Altersklasse der U25-Jährigen sowie mittleren Alters auf den Arbeitsmarkt nach.
Die Arbeitsmarktlage fiel in den Kreisen Borken und Coesfeld 2024 unterschiedlich aus. Agenturchef Heiber nannte dafür strukturelle Gründe: Während im Kreis Borken vor allem produzierende Unternehmen aus dem gewerblich-technischen Bereich angesiedelt sind und diese im vergangenen Jahr zunehmend Stellen abgebaut haben (Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Kreis Borken: 158.957; minus 0,3 Prozent), ist der Kreis Coesfeld stark von Handel, Dienstleistung und Gesundheitswesen geprägt, wo mehr Personal eingestellt wurde (Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Kreis Coesfeld: 76.024; plus 0,7 Prozent).
Arbeitslosenquote: fast auf Finanzkrisen-Niveau 2009
Die Zahl der als arbeitslos gemeldeten Menschen lag im Agenturbezirk 2024 bei rund 15.400 – das sind 12,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Aufgeschlüsselt auf die beiden Kreise bedeutete das: Der Kreis Borken verzeichnete 10.392 Arbeitslose (plus 11,2 Prozent), der Kreis Coesfeld 5.053 Menschen (plus 16,1 Prozent). Daraus ergab sich im Schnitt eine Arbeitslosenquote von 4,4 Prozent für 2024 (Vorjahr 4,0 Prozent). „Damit haben wir fast das Niveau der Finanzkrise 2009 erreicht. Die Quote ist im NRW-weiten Vergleich zwar immer noch am niedrigsten, aber die Ausschläge sind deutlich erkennbar“, ordnete Heiber ein.
Dennoch sei der Arbeitsmarkt in den Kreisen Borken und Coesfeld weiterhin dynamisch. „Es gibt viele Menschen, die arbeiten wollen und auch passende Stellen finden. Wir haben allerdings festgestellt, dass es bei den Unternehmen insbesondere bei Bewerberinnen und Bewerbern, die zwischen 50 und 55 Jahre alt sind, eine gewisse Zurückhaltung gibt – dabei sind gerade diese älteren Mitarbeitenden gut qualifiziert und verfügen über langjährige Berufserfahrung“, betonte Heiber.
Mismatch
2024 waren rund 8.000 offene Stellen gemeldet. Das sind 8,3 Prozent weniger als 2023 und im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit 2008 hat die sich Zahl halbiert, wie der Arbeitsagentur-Geschäftsführer verglich. Heiber stellte dabei ein sogenanntes Mismatch fest: „Die Qualifikation der Arbeitssuchenden passt oft nicht zu den Anforderungen der Unternehmen. Der Anteil der Arbeitslosen auf Helferniveau ist mit 44 Prozent sehr hoch. Gleichzeitig suchen die Betriebe überwiegend Fachkräfte – hier liegt der Anteil der gemeldeten Stellen bei 62 Prozent.“ Unternehmen müssten aus seiner Sicht daher vermehrt auf Aus- und Weiterbildung sowie Umschulung setzen, um zunächst nicht passende Bewerber zu qualifizieren und um den Bedarf zu decken. Unterstützung gibt es dabei von der Arbeitsagentur: In den Kreisen Coesfeld und Borken hat die Agentur 2024 rund 60,6 Millionen Euro für die berufliche Weiterbildung, für ausbildungsvorbereitende oder -begleitende Kurse, die berufliche Rehabilitation sowie in die Einarbeitung schwerbehinderter Menschen investiert.
Terhalle nutzt Einstiegsqualifizierung
Davon hat auch das Holzbauunternehmen Terhalle profitiert. „Wir nutzen neben dem Weiterbildungsangebot der Arbeitsagentur vor allem die Einstiegsqualifizierung, um unsere Auszubildenden fit zu machen. Dahinter steckt ein von der Agentur gefördertes Praktikum, bei dem sich beide Seiten erst einmal in Ruhe kennenlernen können. Diese Phase kann später auch auf die Ausbildungszeit angerechnet werden“, erklärte Thekla Terhalle, verantwortlich für Personal und Organisation bei Terhalle. Das Unternehmen setze in Zeiten des Fachkräftemangels vor allem auf die eigene Aus- und Weiterbildung. „So können wir sie am besten auf die Anforderungen unseres Unternehmens einstellen“, begründete Thekla Terhalle. Rund 80 Prozent der Azubis bleiben nach der Lehre bei Terhalle beschäftigt. Aktuell arbeiten bei dem Ottensteiner Unternehmen rund 610 Menschen, davon sind 50 Azubis.
Dazu zählen auch geflüchtete Menschen aus der Ukraine. „Wir hätten gerne noch mehr Ukrainer eingestellt, allerdings ist das angesichts bürokratischer Hürden sowie der Sprachkurse und Lehrgänge, die sie vorher absolvieren müssen, nicht so leicht und durchaus langwierig“, räumt Geschäftsführer Josef Terhalle ein. Der Unternehmer wünsche sich daher eine höhere Flexibilität bei der Beschäftigungserlaubnis.
Daran appellierte auch Agenturchef Heiber: „Wir müssen geflüchtete Menschen früher in die Beschäftigung bekommen und dafür sorgen, dass sie schnellstmöglich die deutsche Sprache lernen.“ Mit Blick auf den Arbeitsmarkt in den kommenden Monaten erhoffe er sich eine Aufbruchsstimmung durch eine neue Bundesregierung. „2025 wird sicherlich wieder ein anstrengendes, herausforderndes Jahr. Aber die Arbeit ist nach wie vor da“, betonte er.