Bocholt

„Wir wollten nicht von der Bildfläche verschwinden“

Mussumer Krug

Lars Kathage (links) und Fabian Kracht haben in der Pandemie neue Ansätze entwickelt. (Foto: Mussumer Krug)

Sich in der Krise neu erfinden – wie das funktioniert, haben Lars Kathage und Fabian Kracht vom Mussumer Krug in Bocholt in den vergangenen Monaten unter Beweis gestellt. Die Gastronomen krempelten ihr gesamtes Geschäftsmodell um und setzten mithilfe von digitalen Vertriebskanälen und regionalen Unternehmen zahlreiche neue Projekte in die Tat um.


Angefangen hat alles mit dem „Genuss-Shop“, dem Onlineshop des Mussumer Krugs. Den gibt es schon seit 2016, doch vorher gab es dort lediglich Gutscheine und Wein zu kaufen. Mit Beginn des ersten Lockdowns nahmen Kathage und Kracht zusätzlich frisch zubereitete Gerichte in den Shop auf, die vor Ort abgeholt werden können. In einem Newsletter wies Kathage auf das neue Angebot hin – und innerhalb einer Stunde generierte das Team 120 Bestellungen für Wiener Schnitzel. Ein Erfolg, mit dem niemand rechnete: „Am Tag vorher hatten alle Mitarbeiter ihr Einverständnis zur Kurzarbeit unterschrieben“, erinnert sich Kathage. „Aber der Online-Shop ist unser Glückslos. Seit November mussten wir keinen unserer Mitarbeiter mehr in Kurzarbeit schicken.“ Aktuell gibt es 140 Produkte online zu kaufen, zum Beispiel Getränke, Gewürze, Kaffee, Süßigkeiten oder Textilien. Alle Produkte stammen aus Deutschland, ein Großteil sogar direkt aus dem Münsterland. Jede Woche wird der Online-Shop um neue Produkte ergänzt, zum Beispiel um eingekochte Lebensmittel wie Bolognese, Kalbsjus oder Gemüsefond. Sämtliche Waren aus dem Shop gibt es seit Kurzem auch vor Ort zu kaufen: Gemeinsam mit dem Bocholter Baufachhändler „Das Heimkontor“ hat der Mussumer Krug ein Ladenlokal an der Kaiser-Wilhelm-Straße in Bocholt eröffnet.


Außerdem veranstalteten Kathage und Kracht mit ihrem Team verschiedene Online-Events, zum Beispiel eine Live-Weinprobe via Instagram. Gemeinsam mit einer Influencerin organisierten sie die Veranstaltung und verschickten vorab 150 Weinpakete für Zuhause. 300 Gäste nahmen an dem Livestream teil. Mit tatkräftiger Unterstützung ihrer Familien verteilten die beiden darüber hinaus 250 Frühstückspakete in der Region. Sie konnten ebenfalls im Online-Shop bestellt werden und waren mit Brot von Bäckereien aus dem Ort, Käse und Wurst vom Markt, selbst gekochter Marmelade und weiteren regionalen Leckereien gefüllt. „Wir haben zugesagt, dass die Pakete am Sonntag zwischen acht und zehn Uhr morgens beim Besteller ankommen“, erklärt Kathage. „Und das haben wir auch geschafft. Ohne die Hilfe unserer Familien wäre das nicht möglich gewesen.“ Auch Online-Kochkurse für Unternehmen oder Live-Bierproben in Kooperation mit einem örtlichen Getränkehändler stellte das Team vom Mussumer Krug auf die Beine. „Die aktuelle Situation erlaubt es uns, ganz neue Dinge auszuprobieren, für die wir sonst keine Zeit hätten“, gibt Kracht einen Einblick. „Auf viele Ideen wären wir vermutlich sonst niemals gekommen.“


Doch auch die neuen Standbeine können die fehlenden Umsätze des Gastronomiebetriebs nicht vollständig auffangen. So steht zum Beispiel der Kühlwagen des Betriebs schon seit Monaten ungenutzt auf dem Hof, während der Leasingvertrag weiterläuft. „Aber immerhin schaffen wir es, die Löhne unserer Mitarbeiter zu zahlen und wir müssen nichts stunden“, erläutert Kathage. „Darüber bin ich sehr froh. Wir haben als Arbeitgeber eine Verantwortung unseren Mitarbeitern gegenüber.“ Kracht ergänzt: „Das ist schließlich auch in unserem Interesse. Neue Mitarbeiter in der Gastronomie zu finden, ist enorm schwierig. Umso wichtiger ist es, dass unser Personal gerne bei uns arbeitet und hier bleiben möchte.“ Zweimal hat der Mussumer Krug bislang Corona-Soforthilfen vom Staat bekommen. „Sie reichen zum Überleben, wenn man das Licht ausmacht und alle Mitarbeiter nach Hause schickt“, verdeutlicht Kathage. „Aber das wollten wir nicht.“ Mit der Erweiterung des Produktportfolios und dem Ausbau der Online-Kanäle wollen die Gastronomen auch im Gedächtnis ihrer Gäste bleiben. „Wir wollten nicht einfach von der Bildfläche verschwinden“, betont Kracht.


Wann die beiden wieder Gäste im Lokal empfangen dürfen, ist unklar – und deshalb beschäftigen sie sich vorerst nicht genauer damit. „Wir brauchen Planungssicherheit“, macht Kathage klar. „Ohne diese Sicherheit bringt es wenig, sich konkret mit der Wiedereröffnung zu beschäftigen.“ Er ist sich sicher, dass die zukünftige Wiedereröffnung auch eine große Chance für Gastronomen ist, ihre Konzepte zu überdenken: „Müssen wirklich viele verschiedene Gerichte auf der Karte stehen oder reichen zu Beginn erst einmal zwei? Müssen Gastronomen wirklich an Feiertagen öffnen oder wäre es nicht schön für die Mitarbeiter, an Weihnachten oder Silvester Zuhause sein zu können?“ Die Öffnung nach dem Lockdown sei die ideale Möglichkeit, mit neuen Ideen und Strukturen zu starten. Auch Kracht wünscht sich ein Umdenken in der Gastronomie: „Häufig verkauft sich die Gastronomie unter Wert – das geht dann auf die Kosten des Tierwohls, der Landwirte, der Händler, der Gastronomen und nicht zuletzt auf die Kosten des Gastes.“ Seiner Meinung nach müsse das Preis-Dumping in der Gastronomie ein Ende haben. „So erzeugen wir eine Qualität, die vorher nicht da war“, betont er.

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