Bocholt

„Mein Geschäftsmodell beruht nicht auf Abstand“

Herzblut

Timo Salomo zeigt sich kämpferisch. (Foto: Herzblut)

Für Timo Salomo sind die Corona-Schutzimpfungen das einzige Licht am Ende des Tunnels. Seit März 2020 musste der Gastronom, der die Bar „Herzblut“ in Bocholt führt, immer wieder seine Türen schließen. Seit mehr als einem halben Jahr dürfen Gastronomiebetriebe überhaupt keine Gäste mehr empfangen – das hat nicht nur Auswirkungen auf die Unternehmen selbst, sondern auch auf die Innenstädte und die Menschen insgesamt, betont Salomo.


Für den Vorsitzenden des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga in Bocholt, Rhede und Isselburg ist die Gastronomie enorm wichtig für den Zusammenhalt der Menschen: „Die Gastronomie ist der soziale Kitt für die Gesellschaft. Aktuell beobachten wir, dass die Hilflosigkeit vieler Menschen immer größer wird und ihre Zündschnur immer kürzer. Das hat auch etwas damit zu tun, dass die Gastronomie als Freizeit- und Begegnungsort weggefallen ist.“ Auch bei dem Gastronom selbst ist die Stimmung trüb. „Mein Geschäftsmodell beruht nicht auf Abstand. Und selbst, wenn ich unter Hygienebedingungen wieder öffnen darf, werden die wenigen Plätze nicht reichen, um den notwendigen Umsatz zu erzielen“, macht Salomo klar.


Auch die Corona-Hilfen der Bundesregierung helfen Salomo nur bedingt durch die Krise. Seine Rücklagen hat er bereits im Frühjahr 2020 aufgebraucht. „Die November- und Dezemberhilfen haben noch einmal gut unterstützt“, erklärt er. Allerdings war das Geld erst im Februar auf seinem Konto, beantragt hatte er es im Oktober. Aktuell hat er auch einen Antrag für die Überbrückungshilfe III gestellt – eine Bewilligung hat der Gastronom aber noch nicht erhalten. Wie viele Betriebe nach der Krise letztendlich die Türen schließen müssen, ist bisher noch ungewiss. Das liegt auch daran, dass die Insolvenzmeldepflicht für Kapitalgesellschaften bis Ende April ausgesetzt war. „Ich bin der festen Überzeugung, dass nun einige Betriebe in die Insolvenz gehen werden“, so Salomos Einschätzung. „Viele hoffen, durchzuhalten, doch auf Dauer können das nicht alle überleben.“


Die Gastronomen in Bocholt und Umgebung schlagen sich ganz gut, erklärt der Dehoga-Sprecher. Viele Restaurants hätten einen Lieferservice organisiert, Festtagsmenüs oder Boxen angeboten oder betreiben einen Außer-Haus-Verkauf. „Sie geben sich große Mühe, suchen die Kooperation mit anderen Unternehmen und versuchen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln“, erläutert Salomo. Doch auch das könne nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein enorm großer Teil der Einnahmen wegfällt. „Meist dienen die neuen Ansätze eher als Marketingmaßnahme als zur Rentabilität“, weiß der Gastronom. Auch die Einzelhändler in Bocholt spüren die Auswirkungen durch die Schließung der Gastronomie. „Das Shopping-Erlebnis fällt weg: Gemütlich bummeln, dann noch gemeinsam einen Kaffee trinken und anschließend weiter einkaufen. Das spielt den Online-Händlern in die Karten“, betont Salomo. „Die Pandemie wird einen Aderlass in den Innenstädten nach sich ziehen.“


Um Einzelhändlern unter die Arme zu greifen, haben viele Kommunen subventionierte Einkaufsgutscheine organisiert. Für die Gastronomie seien diese aber meist nicht zielführend, so Salomo. „Uns hat dafür geholfen, dass Gebühren erlassen und Steuern gestundet wurden.“ Für die Zeit nach dem Lockdown könnten Kommunen speziell auf die Gastronomie zugeschnittene Veranstaltungen organisieren, um einen Nachholeffekt zu erzielen, so sein Wunsch. „Ein Beispiel wäre ein Street Food Festival, an dem sich die Betriebe beteiligen und die Stadt übernimmt dann die Grundkosten wie Standmiete oder Strom“, erklärt der Dehoga-Sprecher. „Doch auch solche Projekte können wir erst angehen, wenn sich die Corona-Situation entspannt hat."


Noch kann niemand sicher sagen, wie die Corona-Krise die Gastronomie insgesamt verändern wird. „Das hängt auch davon ab, wie lange uns die Pandemie noch begleitet“, erklärt Salomo. „Die Frage ist, ob Geschäftsmodelle, die vor Corona rentabel waren, auch in Zukunft noch funktionieren.“ So könnten es klassische Eventhallen oder Diskotheken künftig schwer haben. „Stattdessen wird es dann vielleicht Pop-up-Angebote geben, die flexibler sind“, wirft Salomo einen Blick in die Zukunft. Die Gastronomie werde sich besser auf eine on-off-Situation einstellen. „Die Unsicherheit kann außerdem dazu führen, dass sehr langfristige Planungen nicht mehr gemacht werden. Das hat dann wiederum Einfluss auf die Pacht- und Mietverträge, die kurzfristiger werden. Es werden sich neue Geschäftsmodelle entwickeln.“


Konkrete Wiederöffnungsszenarien zu entwickeln, fällt dem Gastronomen aktuell nicht leicht. Er wünscht sich vor allem Planungssicherheit, wenn es um Lockerungen für die Gastronomie geht. „Das ständige On-off ist Gift“, unterstreicht er. Testergebnisse oder Impfpässe zu kontrollieren, wenn er wieder öffnen darf, ist aus seiner Sicht auch keine besonders praktikable Lösung. Schließlich sei es schwierig, echte von gefälschten Zertifikaten zu unterscheiden. Er unterstützt deshalb den Vorschlag eines digitalen Impfpasses. Eine wirkliche Lösung ist für den Gastronom ohnehin nur das Impfen – er hofft, dass er mit steigender Impfquote bald endlich wieder Gäste im Herzblut empfangen und bewirten darf. Aufgeben kommt für ihn vorerst nicht in Frage: „Der Rucksack ist schwer, aber noch trage ich ihn.“

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