Bocholt

„Bocholt kann richtig was“

Interview

Das historische Rathaus ist eines der Wahrzeichen in Bocholt. (Foto: Bruno Wansing)

Im Interview mit Wirtschaft aktuell sprechen Bürgermeister Thomas Kerkhoff und Ludger Dieckhues, Geschäftsführer der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing, über ihren Wirtschaftsstandort Bocholt. Dabei blicken die beiden auf Herausforderungen und Lösungsansätze und sie verraten, was Sie zuletzt überrascht hat.

 

Herr Kerkhoff, Herr Dieckhues, als Bürgermeister und Wirtschaftsförderer der Stadt Bocholt kennen Sie Ihren Wirtschaftsstandort sicher wie wenige andere. Wie geht es der Bocholter Wirtschaft in dieser schwierigen Zeit?


Kerkhoff: Das ist heterogen. Viele produzierende Unternehmen haben sich mittlerweile mit der Situation arrangiert. Es gibt sogar Krisengewinner, wie zum Beispiel unsere großen Radhersteller und –vertriebler. Auf der anderen Seite hat der Lockdown den Einzelhandel, die Gastronomie oder unsere Eventunternehmen schon hart erwischt. Viele der Betriebe aus diesen Bereichen gehen echt auf dem Zahnfleisch.


Dieckhues: Generell sind wir aufgrund der sehr mittelständischen Prägung im Bereich Gewerbe und Industrie recht robust aufgestellt. In der Summe bleibt die Tatsache, dass Bocholt ein starker Standort ist, an dem die Auswirkungen der Krise aber auch nicht spurlos vorbeigehen.

 

Wie haben sich die Unternehmen auf die Anforderungen durch die Pandemie eingestellt?


Dieckhues: Die Unternehmen nutzen die vorhandenen Möglichkeiten: Zum Beispiel Kurzarbeit und Homeoffice, wo es erforderlich und möglich ist. Gleichzeitig hat die Pandemie einen deutlichen Anschub für Digitalisierungs- und Prozessoptimierungsprozesse gebracht. Viele Betriebe nutzen dafür die vorhandenen Förderprogramme, die wir – gern auch im Verbund mit der WFG für den Kreis Borken – vermitteln. Auch im Handel hat Corona dafür gesorgt, dass sich die Akteure mehr Gedanken über Digitalisierung machen, auch wenn da nach wie vor Luft nach oben ist.


Kerkhoff: Jede Krise hat eine Chance und diese Krise hat die Unternehmen dazu gezwungen, sich intensiver mit den Möglichkeiten der Digitalisierung zu beschäftigen. Nehmen Sie den Stadtgutschein. Ohne die Pandemie hätten wir das bisherige analoge Gutscheinmodell womöglich nicht so schnell auf digitales System umgestellt. Im Zuge der Pandemie gab es nun jedoch bei allen Beteiligten eine große Bereitschaft, den Schritt in Richtung Digitalisierung zu machen. Vergleichbare Fälle gibt es überall – übrigens nicht nur in der Wirtschaft. Auch mit Blick auf die Schulen ist deutlich geworden, dass wir erheblich investieren müssen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Die Wirtschaft liegt da zwar sicher noch vor den Schulen, aber auch dort spürt der eine oder andere, dass er nachladen muss.

 

Inwieweit konnten die Stadt und ihre Wirtschaftsförderung dabei helfen?


Dieckhues: Neben den bereits erwähnten Beratungen haben wir zum Teil täglich informiert, wenn es Themen oder Entscheidungen gab, von denen die Unternehmen wissen sollten. Also zum Beispiel, wenn es Neuigkeiten bei den Förderungen oder hinsichtlich der Corona-Schutzmaßnahmen gab. Zudem haben wir den Handel über das Programm „Smarter Handeln Bocholt“ bei der Digitalisierung unterstützt und wir haben insgesamt auch versucht, zu motivieren – über Anzeigen- und Videokampagnen. Für den besonders arg gebeutelten Gastro-Bereich gibt es die bekannten Unterstützungen von Bund und Land und auch wir haben hier die eine oder andere Idee. Aber Fakt ist: In einer Zeit, in der nichts geöffnet ist, kann man leider nur wenig machen.


Kerkhoff: Unsere Wirtschaftsförderung ist in Zeiten wie diesen natürlich besonders gefragt. Aufgabe von Wirtschaftsförderung ist es, zu helfen, wenn es ein Problem gibt. Ich vergleiche das gerne mit einem Coach, der die Probleme zwar aufgrund seiner Position nicht selbst lösen kann, der aber Wege aufzeigt, Unterstützung bietet und so aktiv an der Lösung der Probleme mitarbeitet. Das ist mein Verständnis von Wirtschaftsförderung und Ludger Dieckhues und sein Team machen das richtig gut.

Herr Kerkhoff, Sie haben das Amt des Bürgermeisters in Bocholt im November des vergangenen Jahres aufgenommen. Sicher hatten Sie im Vorfeld eine klare Vorstellung von dem, was Sie erwartet. Gab es dennoch etwas, dass Sie so richtig überrascht hat?


Kerkhoff: Obwohl ich die Tätigkeit an sich sehr gut kannte, war es für mich überraschend, wie mich das alles förmlich eingezogen hat. In der Fülle und Komplexität der Dinge ist das hier in Bocholt im Vergleich zu allen anderen Städten und Gemeinden des Kreises eine andere Liga – und das sage ich nicht, weil ich jetzt hier arbeite.

 

Was haben Sie in den vergangenen Monaten neu über den Wirtschaftsstandort Bocholt gelernt?


Kerkhoff: Die Stärke des Standortes kannte ich auch vorher schon. Was ich aber wirklich als bemerkenswert erlebt habe, ist die aktive Unternehmerschaft. In Bocholt ist alles sehr familiengeprägt, die Betriebe sind untereinander gut vernetzt und immer bereit, in Kooperationen zu denken und zu arbeiten. Viele Akteure kennen sich seit vielen Jahren, dennoch habe ich nicht den Eindruck, dass es ein Closed Shop ist. Darüber hinaus habe ich auch bei den wenigen Unternehmensbesuchen, die ich mit Ludger Dieckhues zuletzt machen durfte, tolle Aha-Momente erlebt. Es ist schon beeindruckend, was da so alles hinter den Bocholter Werkstoren geleistet wird. Da stelle ich immer wieder fest: Bocholt kann richtig was.

Gab es für Sie, Herr Dieckhues, vielleicht auch etwas Neues, das Sie in der Pandemie über Ihren Wirtschaftsstandort gelernt haben?


Dieckhues: Mich hat total begeistert, dass die von Herrn Kerkhoff beschriebenen guten Kontakte auch in dieser Zeit nicht unterbrochen wurden. Den Unternehmen ist es mit viel Engagement gelungen, das Netzwerk auch ohne persönliche Treffen aufrecht zu erhalten und sie haben damit einiges bewegt. So sind in den vergangenen Monaten Geschäfte lokal in Bocholt gemacht worden, die zuvor vielleicht mit Partnern außerhalb der Stadt gemacht worden wären. Ich habe den Eindruck, dass die Unternehmen in der Pandemie – so paradox das klingt – noch näher zusammengerückt sind. Besonders erwähnenswert finde ich aber auch die Solidarität der Einzelhändler. Auch hier rücken die Akteure zusammen und geben sich Hilfestellungen. Dazu passt auch, dass die bundesweite Initiative „Händler helfen Händlern“ von Bocholt– also von Marcus Dieckmann und dem Team von Rose Bikes – ausgeht.

 

Als Bürgermeister und Wirtschaftsförderer sind Sie beide für die Wirtschaft in Bocholt im Einsatz. Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Ihnen?


Kerkhoff: Die Zusammenarbeit ist sehr gut. Ich finde, dass wir uns auch nach dieser noch recht kurzen Zeit schon sehr gut die Bälle zuspielen. Herr Dieckhues hat sein Ohr sehr nah am Gleis der Unternehmen. Ich wiederum habe mein Ohr am Gleis der Verwaltung. Und es zeigt sich schon jetzt: Wenn wir uns in dieser Konstellation gemeinsam einem Thema annehmen, können wir richtig etwas bewegen.


Dieckhues: Das kann ich nur bestätigen. Wir ergänzen uns wirklich gut. Wir beide möchten den Standort Bocholt nach vorne bringen. Und mit diesem Ziel vor Augen stimmen uns richtig gut und kreativ ab. Geht nicht, gibt´s nicht – zumindest nicht so ohne Weiteres. Das macht Spaß!

 

Welche Projekte sind für Sie beide zurzeit mit Blick auf die Wirtschaft die wichtigsten?


Kerkhoff: Es ist immer schwierig, einzelne Projekte hervorzuheben, weil man damit andere außen vorlässt, die auch wichtig sind. Daher würde ich die Antwort anhand einer Zeitachse geben: Kurzfristig geht es darum, die Krise zu bewältigen. Mittelfristig wird es darum gehen, die große Nachfrage nach Gewerbegrundstücken bedienen zu können, die es in Bocholt gibt. Hier haben Herr Dieckhues und sein Team ein gutes Konzept erarbeitet, das der politische Raum nun verabschiedet hat. Das Thema Gewerbeflächen wird uns aber auch langfristig nie loslassen. Zudem müssen wir uns langfristig den Herausforderungen der Digitalisierung stellen. Hier ist Bocholt noch nicht da, wo andere Kommunen im Kreis Borken schon sind.

 

Was meinen Sie da konkret?


Kerkhoff: Uns fehlen auf der Unternehmensseite IT-Anbieter, die auch weit über den Standort hinaus strahlen. Immerhin sind wir der einzige Hochschulstandort im Kreis und da täte uns das eine oder andere Unternehmen mehr in diesem Bereich sehr gut. Auch für das Netzwerk der Bocholter Unternehmen könnten IT-ler eine wichtige Bereicherung sein. Das würde sicher Hebeleffekte für die anderen Unternehmen in Sachen Digitalisierung entfalten. Klar ist aber, dass wir nicht von heute auf morgen ein solches Unternehmen ansiedeln können. Dennoch sollten wir schon jetzt das Signal aussenden, dass wir ein guter Standort für IT-Unternehmen oder auch für Gründer, die sich in eine solche Richtung entwickeln wollen, sein können. Wir erkennen Chancen, die sich in diesem Bereich ergeben können, und wir trauen uns auch, vielversprechende Projekte zu unterstützen.

 

Welche Projekte sind für Sie zurzeit die wichtigsten, Herr Dieckhues?


Dieckhues: Neben der Pandemie, die uns noch weiter beschäftigen wird, steht ab dem zweiten Halbjahr die Vermarktung und Weiterentwicklung des Industrieparks Süd besonders im Fokus. Dort ist es uns – Gott sei Dank – gelungen, weitere 26,5 Hektar zur Verfügung zu stellen. Zeitgleich dürfen wir die Entwicklung der anderen Gewerbegebiete nicht vernachlässigen. Auch diese Gebiete laufen langsam, aber sicher voll. Herr Kerkhoff hat es gesagt: Wie haben mit Blick auf die Fläche einen dauerhaften Handlungsbedarf. Auch die Einschätzungen von Herrn Kerkhoff in Sachen Digitalisierung teile ich. Auch hier müssen wir am Ball bleiben. Ein guter Ansatz dafür ist unter anderem das jüngst ausgelaufene Projekt Digi-Up, das wir zusammen mit der WFG und der Hochschule in Bocholt sehr erfolgreich auf den Weg gebracht hatten. Ziel war es, produzierende Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Prozesse zu unterstützen, und das hat sehr gut funktioniert. Diesen Projektansatz sollten wir daher unbedingt fortsetzen.

 

Was ist aus Ihrer Sicht insgesamt die größte Herausforderung für den Wirtschaftsstandort Bocholt?


Dieckkhues: Über die meisten Dinge haben wir schon gesprochen. Nicht thematisiert haben wir den Fachkräftemangel. Auch da müssen wir noch mehr tun. Es muss uns einfach noch besser gelingen, den Draht zu den jungen Menschen, die Bocholt zum Beispiel fürs Studium verlassen, aufrecht zu erhalten. Nur dann bekommen wir eine Chance, sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurückzuholen. In der Summe bleibt für mich als Wirtschaftsförderer aber die Konkurrenz um die Fläche die größte Herausforderung.


Kerkhoff: Das sehe ich auch so. Fläche ist nun einmal endlich. Wir könnten den Industriepark bequem verdoppeln und hätten immer noch kein Problem damit, die Flächen zu vermarkten. Da das aber nicht möglich ist, müssen wir die Effizienz steigern. Das Gewerbeflächenvermarktungskonzept, das Herr Dieckhues und sein Team entwickelt haben, greift das auf. Damit ist aus meiner Sicht ein richtig toller Wurf gelungen. Das Konzept strukturiert die vorhandenen Optionen, es macht die Dinge für alle Beteiligten erklärbarer und es schafft eine Verlässlichkeit, die für die Verantwortlichen in den Unternehmen und in der Politik extrem wertvoll ist. Damit allein werden wir das grundsätzliche Problem aber nicht lösen. Es gibt einen Kampf um die Fläche und wir müssen wirklich gut aussuchen, wem wir etwas geben können und wem nicht.

 

Herr Kerkhoff, Herr Dieckhues, zum Abschluss möchte ich Ihnen beiden dieselbe Frage stellen. Ein Wirtschaftsstandort definiert sich immer auch über seine harten und weichen Standortfaktoren. Bocholt hat hier einiges vorzuweisen. Was ist für Sie denn der wichtigste Standortfaktor Ihrer Stadt?


Dieckhues: Obwohl ich Wirtschaftsförderer bin, würde ich da einen weichen Standortfaktor benennen: die Lebensqualität! Mit dem urbanen Flair, dem guten Wohn- und Bildungsstandard ist Bocholt einfach extrem lebenswert und das ist aus meiner Sicht auch ein enormes Pfund für den Wirtschaftsstandort.


Kerkhoff: Das alles würde ich genauso unterschreiben. Wenn man dann noch die tollen Chancen sieht, die wir durch Projekte wie das kubaai bekommen werden, potenziert sich das noch einmal. Auf dem kubaai-Areal entstehen in den nächsten Jahren in unmittelbarer Nähe zur Innenstadtkern knapp 600 bis 700 Wohnungen! Das ist in der Form einzigartig. Gepaart mit dem Lernwerk, in dem die Volkshochschule, die Musikschule und das Stadtarchiv untergebracht sind und dem Textilmuseum in unmittelbarer Nähe zum kubaai, aber auch mit der gastronomischen Entwicklung, die sich zurzeit für den Aasee auftut, entsteht so entlang der Aa ein attraktives Band, das eine enorme Wirkung entfalten wird. Das wird eine echte Granate!

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